Zurück, weniger gereizt.

Nicht im Bild: der Pool mit dreckigem Wasser.


Keine Sorge, ich bin nicht gestorben oder dergleichen. Ich bin vielleicht ob der Entwicklungen hin zu mehr faschistischer Denke in der Politik vor Fremdscham und Entsetzen fast vergangen, aber nicht gestorben.

Viel gibt es wohl zu sagen über die aktuellen Verhältnisse. Noch wirken sie sich nicht unmittelbar auf mein Leben aus. Es mag aber nur eine Frage der Zeit sein. Bis dahin hoffe ich das Beste.

Dass ich so wenig schrieb, hatte einen banalen Grund: gesundheitliche Probleme. Menschen mit Neurodermitis oder ausgeprägten Allergien und Hautproblemen beneide ich nicht. Fast den gesamten Sommer litt ich unter Juckreiz, den ich nur als quälend bezeichnen kann. Ich reagiere schnell auf Reizungen der Haut mit Ausschlägen, ein warmer Swimming-Pool auf Mallorca ist ein Pool (haha) von Keimen, der den Ausschlag gab (haha). Ab da kämpfte ich mit meiner Haut und meine Haut mit mir. Merke: Wenn auf dem Wasser die Sonnencreme schon gelbe Schlieren zieht, steige man tunlichst nicht da rein.

Juckreiz ist fürchterlich. Es ist wie ein Wassertropfen, der einem stetig auf den Kopf tropft. Je länger das so geht, desto mehr fühlt es sich wie ein Hammerschlag an. Nicht umsonst heißt es Juckreiz. Er machte mich gereizt. Selten fluchte ich so viel, war selten so schnell auf die Palme zu bringen. Ich probierte alles: Kalte Duschen, heiße, Cremes und Lotionen aus der Drogerie und der Apotheke, Kokosöl und Aloe Vera. Nichts brachte länger als einige Stunden Linderung vom Juckreiz. Bisweilen verschwand ich in der Mittagspause auf der Toilette, um mich einzucremen. Ich wachte nachts auf und musste nachcremen, die juckenden Stellen mit Kühlpacks aus dem Gefrierschrank behandeln.

Es hat Wochen gebraucht, bis ich das in den Griff bekommen habe - und Hautärzte haben nichts, ich wiederhole, NICHTS!, dazu beigetragen. Das Einzige, was diesen Quacksalbern einfiel, waren Krätzmilben als Ursache des Juckens. Wenn ich denn überhaupt einen Termin bei einem Arzt bekam. Nur die Untalentiertesten innerhalb der Humanmedizin werden DermatologInnen. Wer mir das Gegenteil beweisen kann, möge sich bitte per Mail oder Kommentar bei mir melden.

Man wird ja immer davor gewarnt, Krankheitsbilder zu googlen, aber ich bin Befürworterin des evidenzbasierten Testens an der eigenen Person mithilfe von Dr. Google. Trockenheit ist die Wurzel meines Übels. Trockenheit kann eine Art Gänsehaut und Pickel auslösen. Helfen tut bei mir Mineralöl. Ausgerechnet. Stinknormale Bebe Zartcreme aus der Drogerie. Ich fühle mich, als wäre ich auf die Naturkosmetik-Ideologie reingefallen. Mineralöl ist nicht per se für die Haut schlecht, sondern ein guter Hautbefeuchter, der hypoallergener ist als alles, was von Pflanzen stammt, aber es ist nicht sehr umweltfreundlich. Das nenne ich eine unpopuläre Meinung in aufgeklärten Internet-Kreisen, aber ich stehe dazu. Sorry, aber derzeit ist mir meine Haut näher (wortwörtlich).

Jetzt geht es hier weiter. Vermutlich in unregelmäßigen Abständen. Ich taste mich wieder heran.

Der Isländer-Effekt oder Das unrühmliche Ende meiner Dating-Aktivität

Der vorerst letzte Teil meiner Island-Reise. Der Trip hatte nicht nur einen immensen Erholungseffekt, sondern brachte mir eine wichtige Epiphanie. 



Es gibt von Robert Downey Jr. diese großartige Geschichte von seinem Erlebnis mit Burger King (ich müsste mal einen Essay schreiben über die transformative Kraft von Fastfood-Ketten).
Darin erzählt RDJ, wie er am Tiefpunkt seiner Karriere und seiner Drogensucht einen Burger King aufsuchte. Der Burger war so ekelhaft, dass er die Entscheidungen in seinem bisherigen Leben überdachte und da und auf der Stelle beschloss, seine Drogen ins Meer zu werfen und sich selbst zu sanieren. Der Rest der Geschichte ist bekannt, er wurde kurz darauf zum Iron Man und ist mit dafür verantwortlich, dass wir jedes Jahr Dutzende Superheldenfilme ertragen müssen sehen dürfen.

Was dem Downey Jr. seine Burger-King-Erweckung, das ist bei mir der Isländer-Effekt. Das trug sich folgendermaßen zu:

Wir waren irgendwo zwischen Reykjavik und Snaefellsnes in einem dieser unglaublich schicken, letztendlich aber völlig nichtssagenden Design-Hotels. Am Frühstückstisch unterhielt sich unsere Reisegruppe über Tinder. Die beiden Herren hatten neugierdehalber mal geguckt, was für Frauen auf der App unterwegs waren. Sie äußerten sich durchaus angetan.


Ich hatte die App schon seit Monaten nicht mehr auf dem Handy. Aber neugierig wurde ich schon: Wie das wohl mit den Hetero-Männern auf Island auf Tinder war? Neugierde tötete die Katze, sagt man, aber Katzen haben auch neun Leben. Ich hatte schon allerhand seltsame Dates erlebt, ein weiteres machte den Kohl auch nicht mehr fett. Also lud ich Tinder mithilfe des unendlich langsamen Hotel-WLANs herunter. Ich blätterte durch die Profile.

Viele Menschen betreiben das zum Spaß und aus Langeweile. Selbst wenn man gar nicht an Dating, Sex oder gar Beziehungen interessiert ist: Es befriedigt die menschliche Schaulust. Man kann sich mit anderen Menschen beschäftigen ohne all das Gedöns.

Eins kann man über die Männer auf Tinder auf Island sagen: Sie sind alle kräftig gebaut (mal mehr, mal weniger rund) und fast allesamt bärtig. Wir sprechen hier nicht vom gewöhnlichen mitteleuropäischen Vollbart. Eher das Modell Rauschebart bis runter zur Brust. Und das auf völlig unironische Weise. Die ganz hippen kombinieren das mit einem Man-Bun, der Großteil trägt das Haar aber kurz.

Vielleicht liegt es am Wikinger-Erbe, vielleicht ist es dem starken Wind auf der Insel geschuldet (ein Bart bietet doch Wärme, wenn es gar zu sehr windet), Fakt ist: zwei Drittel der Männer sind bärtig. Ich weiß, ich klinge fürchterlich oberflächlich und lookistisch, aber bärtige Männer sind prinzipiell nicht meins.

Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, so auch ich: Einer der Isländer sah mein Profil und gab mir ein Superlike. Natürlich war er bärtig, kam aber ansonsten auf seinen Bildern nett rüber. Ich sah großzügig über seinen Bart hinweg, der Text entschädigte dafür (Herzen von Texterinnen gewinnt man mit gutem Text, wer hätts gedacht). Er beschrieb sich als "shy", seine Superkraft mit "social awkwardness". Ich ließ Schwesterherz über das Profil schauen. Sie fand ihn OK. Was hatte ich zu verlieren, außer vielleicht meiner Würde? Ich likete zurück. Wir schrieben ein wenig hin und her. Er war nett und witzig.

Unsereins entscheidet ja oftmals nach dem "schau mer mal, dann seh mer scho"-Prinzip. Ganz ohne Kalkül, Taktik oder gar Strategie. Meistens landet man mit dieser Methode in einer Sackgasse, aber sei's drum: Die besten Geschichten erlebt man, wenn eben nichts nach Plan verläuft. Wir vereinbarten die Hallgrimskirkja als Treffpunkt, die Kirche, die über Reykjavik thront. Während ich auf mein Date wartete, begegnete ich einer Katze, die sich willig von mir streicheln ließ. Gott, ich liebe Katzen. Seelenverwandte Tiere.

Dann kam er schon um die Ecke gebogen: Mittelgroß, mittelschwer, sehr bärtig, der Bart war noch ein paar Zentimeter länger als auf dem Foto. Gemächlich ging er auf mich zu.

Kennt ihr das? Ihr seht jemanden zum ersten Mal und wisst bis in die tiefste Phase eures Körpers und eurer Existenz, ihr schwört beim Leben von Schwesterherz und allen Menschen, die euch jemals etwas bedeutet haben:

Das wird nix. Niemals.
 
Dennoch: Ich winkte und lächelte.

Er erwiderte es nicht.

Ich schob es auf die nordische Mentalität. Nordlichter, zumal skandinavische Männer, können extrem in sich gekehrt und unexpressiv sein.

Zumindest gab er mir eine Umarmung, wenn auch eine ungelenke. Wir gingen in ein nahe gelegenes Café, das er kannte. Bei Cola (er) und heißer Schokolade (ich) versuchten wir uns an einer Unterhaltung. Es blieb beim Versuch - selten hatte ich Smalltalk, der so zäh war. Die Worte blieben mir in den Zähnen hängen wie isländische Lakritze, schwer und klebrig und pechschwarz. Merke: Wenn ein Isländer sich als schüchtern bezeichnet, ist das Level 9000 der Schüchternheit. Ein schüchterner Amerikaner wird dich den ganzen Abend zutexten. Wir sprachen über Filme (er kennt Star Wars nicht so gut), Island (Tourismus ist an sich OK, aber ein bisschen viel ist es schon), Reisen (er war bisher nur in Kanada) und das Wetter (5-10 Grad ist für ihn perfektes Wetter).

Danach gingen wir durch Reykjavik spazieren. Aber nur kurz, denn die Innenstadt ist so groß wie die Fußgängerzone von Erlangen.

Wir verabschiedeten uns nach zwei Stunden, die mir vorkamen wie der endlose nordische Winter ohne Sonne. Ich schrieb meinen Mitreisenden eine SMS und ließ mich abholen.

Dieses Date war unspektakulär und auf eine alltägliche Art und Weise katastrophal.  Da versuchte ich krampfhaft, eine menschliche Verbindung zu anderen einzugehen, und endete auf einer fremden Insel vor einem fremden Mann, mit dem mich nichts, rein gar nichts verband. Wie blöd ich mir vorkam.

Ich begann, die Entscheidungen in meinem (Liebes-)Leben zu überdenken. Ich beschloss hier und auf der Stelle, es mit Tinder und anderen technischen Hilfsmitteln bleiben zu lassen. Romantizismus und die Große Liebe, waren an und für sich auch nur Ideen, Ideologien. Sie waren wahr, wenn ich an sie glaubte. Was, wenn ich damit aufhörte? Seit Jahren versuchte ich auf Teufel komm raus, eine romantische Beziehung zu finden, große Gefühle und all der Kram. Eben das ganz große Ding. Warum eigentlich? Es war einfach nur FOMO - the fear of missing out. Ich hatte Angst, etwas zu verpassen. Sie erzählten mir auch alle, wie gut und groß und schön das alles war. Etwas, das alle anderen super fanden, damit glücklich waren. Und ich vergaß dabei, wie beleidigend es mir gegenüber war, keine Zeit mit mir selbst verbringen zu wollen. Sondern mich vermeintlich vervollständigen zu wollen. Ich warf mein Smartphone ins Meer. Ich löschte die App.

Das ist das antiklimaktische Ende meines Datings. Vielleicht, wenn mir langweilig werden sollte, werde ich es wieder versuchen. Aber ganz ehrlich: Ich glaube nicht mehr daran. Ihr Leute da draußen, die ihr mit jemandem zusammen sein wollt und es sogar könnt: Ich gratuliere euch, von ganzem Herzen, und hoffe, dass ihr zufrieden seid. Be good, be better than me. Auch wenn es sarkastisch klingt.

Ich für meinen Teil ziehe mich auf das zurück, auf das ich mich verstehe: Single sein. (Und vielleicht die eine oder andere Casual-Geschichte, aber psst.)

Und ein Gutes hatte es: Ich habe mal wieder eine Katze gestreichelt!

Die Blaue Lagune.

Ein Highlight, wenn auch ein teures, war der Besuch der sogenannten Blauen Lagune. Das Thermalbad bietet Entspannung (oder Kreislaufbeschwerden) bei fast 40 Grad warmem schwefelhaltigem Wasser. Und man trifft so allerhand interessante Menschen.

Die Blaue Lagune nach Ladenschluss.

Hier kann mans aushalten. In schön warmem Wasser, bei sommerlichen Temperaturen. Gut, wir sprechen von Island, da sind 17 Grad Hochsommer. Schwesterherz und ich haben uns in einen der kleineren Nebenbecken gesetzt und lassen uns dort die Haut aufweichen. Es stinkt sanft nach faulen Eiern. Heilsames Schwefelwasser und so.

Wir treiben so vor uns hin, träge von der Wärme, die uns umgibt. Doch wie das so ist, wird unsere Stille abrupt unterbrochen.


"Hey, where are you from?"

Zwei junge Kerle, sichtlich betrunken, quatschen uns an. Der eine mit rotblondem Vollbart und Glatze, der andere mit schulterlangen Haaren und einer beeindruckenden Monobraue. Sie halten beide eine Bierdose in der Hand, die mit Sicherheit nicht ihre erste an diesem Abend war. Der Rest ist im milchigweißen Wasser verborgen.

Leute, ich will ehrlich sein, aber mit meinem fortschreitenden Alter und dem veränderten Kennenlernverhalten wird es immer seltener, dass ich angesprochen werde. Solange es auf einem zivilisierten Level bleibt, sage ich zu mir: Enjoy it while it lasts.

Es geht so hin und her, die üblichen Fragen zu Herkunft, was wir hier machen, etc. Schwesterherz und ich sind höflich, aber nicht wirklich interessiert an Unterhaltung. Wir sind hier um zu entspannen, verdammt.

"So - are you a couple?"

Die Frage kommt für mich etwas überraschend, aber gut. Wir verneinen.

"No, we're sisters."

Sie seien nämlich, so berichtet uns Stefan, mit 22 Lenzen der Jüngere der beiden, ein bisexuelles Paar. Ihnen gehöre eine Queer-Bar in der Stadt und wir könnten gerne vorbeikommen auf ein Bier. Aufs Haus. Sie machen noch ein bisschen Smalltalk, dann verabschieden sie sich und ziehen weiter. Schwesterherz und ich planschen wieder allein vor uns hin.

Die Unterhaltung war nett, wie das mit betrunkenen Menschen so läuft, wenn man selbst stocknüchtern ist. Sie kommen einem immer ein bisschen zu nah, aber sie waren noch freundlich-betrunken, nicht aggressiv-betrunken. In skandinavischen Ländern vermehren sich die Leute ohnehin nur mit Alkohol als gesellschaftlichem Schmiermittel. Ansonsten spräche niemand mit jemand anderem. Zwar glaube ich nicht, dass wir noch auf ein Bier in eine Bar gehen, weil Schwesterherz Alkohol hasst. Aber wie schön, dass man doch ganz selbstverständlich und locker über Queerness sprechen kann. Und wie schön, dass sich die beiden gefunden haben.

"Weißt du, warum sie gesagt haben, dass sie bisexuell sind?"

Schwesterherz unterbricht meinen optimistischen herzerwärmenden Gedankengang über den Fortschritt im kollektiven Denken, was alternative Lebensarten anbelangt.

"Naja... Information?" sage ich.

Schwesterherz sieht mich verständnislos an.

"Die wollten einen Vierer! Mit uns!!"

Sie macht eine Handbewegung, als ob sie hart facepalmen wollte. 

"Oh."

"Ja! Sonst hätten sie einfach gesagt, sie wären schwul!!"

Was hat zwei Daumen und ist die naive Unschuld vom Lande?

This b*tch.

You know nothing.

"Aber hey, ein 22-jähriger würde mit mir ins Bett gehen. Success!" sage ich.

Mein Schwesterherz sieht mich an, als ob sie mich erwürgen wollte.

Und zu denken, dass ich im Netz am leichtesten über meine Dating-Artikel zu finden bin...

Das Domino's am Ende der Welt - Geschichten von Fast Food

Ich liebe es, Fastfood-Restaurants zu besuchen. Nicht unbedingt des Essens wegen, sondern weil man dort der Durchschnittsbevölkerung am nächsten kommt. Unzensiert, ungeschönt, fettig, mit Jogginghosen und zerzausten Haaren erhält man einen kleinen Einblick in die Normalwelt eines Orts, wie er abseits der Touristenströme existiert. So auch diesmal: Island. Selfoss. Mai 2017.

shamelessly copied from Google Streetview. Domino's, Selfoss.

Eins kann ich sagen: Wir waren verdammt hungrig. Was seltsam war, weil wir den ganzen Tag nur sitzend im Auto verbracht hatten und unsere Runde über die Ringstraße auf Island drehten. Aber auch überwältigende Landschaften können müde und hungrig machen.


Es ist Freitagabend, wir sind in Selfoss gelandet und suchen ein Restaurant, ein Lokal, irgendwas, wo wir essen können. Die Suche gestaltet sich wie anno dazumal mit Maria und Josef: Sie fanden keine Herberge. Alle annehmbaren Restaurants sind rappelvoll und die Supermärkte geschlossen. Merke: Wenn du am Ende der Welt einen Supermarkt aufsuchen willst, komm vor sieben. Der Spruch mit den hochgeklappten Gehsteigen ist in einem 2000-Seelen-Ort wahrer, als dir lieb ist.

Wir fahren ziellos durch den Ort, nur geleitet vom Knurren unserer Mägen. Wir sind an einem Industriegebiet angelangt, das am Ende der Stadt liegt. Dann sage ich etwas, was ich sonst nie sagen würde: "Gehen wir zu Domino's." - "Solange es nicht Subway ist" tönt mir entgegen.

In meinem Leben habe ich zwei Wahrheiten gelernt:

1. Pizza geht immer. Selbst wenn sie nur OK ist, ist sie immer noch ziemlich gut.
2. Du gehst nicht zu Domino's, du endest dort.

Der Domino's in Selfoss ist an der Hauptstraße am Ende des Ortes angesiedelt. Daneben befindet sich direkt ein Subway, links wird er von einer Eisdiele flankiert. Wir betraten den Laden, der aus einem kleinen Verkaufsraum, einer großen Theke und ein paar Sitzgelegenheiten bestand. Alles war in klinischem Weiß mit roten Akzenten gehalten und wirkte leicht abwischbar, aber wenig einladend.

Man muss sich das wie eine Saloon-Szene aus einem Western vorstellen: Wir, die Fremden, in verstaubten und verdreckten Outdoor-Klamotten, betreten den Raum. Eine fast feindliche Stimmung der anwesenden Gäste ist wahrnehmbar, sie mustern uns von oben bis unten. Wir scheinen keine Gefahr darzustellen, also widmen sie sich wieder ihrem Essen.

Y u take so long?? - via flickr

Als wir noch am Eingang stehen, kommt uns ein junger Kerl im Krokodilskostüm entgegen. Er hält sich Papiertücher ans blutige Gesicht. Sein Outfit ist schmutzig und blutverschmiert. Ein Domino's-Mitarbeiter leitet ihn hinaus, stützt ihn am Arm. Das Krokodil ist unsicher auf den Beinen. Drei weitere Krokodile stehen im Raum. Sie scheinen von ihrem Kumpanen kaum Notiz zu nehmen, ordern Pizzen und setzen sich an einen der freien Tische.

Wir studieren die Karte, die dankbarerweise auch auf Englisch existiert. Island ist nicht immer das märchenhafte Land der Feen, Elfen und Trolle. An vielen Orten fühlt es sich an wie ein Außenposten der USA. Nach einigem Hin und Her haben wir unsere Bestellung zusammen: Die beiden Jungs nehmen das 2-für-1-Angebot, Schwesterherz und ich teilen und eine große vegetarische Pizza. Wir geben unsere Bestellung auf, hinterlassen unsere Namen wie man das bei Starbucks auch tut, zahlen und warten.

Es ist still im Laden. Manchmal knirschen die Scharniere der Schwingtüren, wenn ein Pizzabote den Raum verlässt, schwer beladen mit Pizzen in Schutzhülle. Immer wieder kommen IsländerInnen rein, holen ihre Bestellung ab. Der Ofen brummt. Die Krokodile spielen mit ihren Smartphones, feixen miteinander. Der Abend ist mild, über zehn Grad. Ein richtig warmer Frühlingstag für isländische Verhältnisse.

Ich gehe schnell auf die Toilette am Ende des Gästeraums. Als ich die Tür öffne, muss ich kurz innehalten. Atme scharf ein und aus. Empfindlicheren Menschen böte sich dort ein Bild des Schreckens: Überall Blutspritzer, die Lichtschalter verschmiert mit blutigen Fingerabdrücken, Blutflecken am Boden notdürftig mit Papierhandtüchern bedeckt.

Nun bin ich, was Blut anbelangt, nicht zimperlich. Als gesunde Cis-Frau* in gebärfähigem Alter verliere ich mindestens die dreifache Menge jeden Monat. Vielleicht hat die Domino's-Atmosphäre inzwischen auch mich emotional gelähmt. Ich nehme wortlos ein paar Handtücher und wische notdürftig alles ab, was mit meiner Haut in Berührung kommen könnte.

Als ich fertig bin, ist es die Pizza noch lange nicht. Unsere männlichen Reisebegleiter haben ihre Bestellung schon erhalten. Auch die Krokodile sind mit dem Essen fertig. Eine Gruppe Amerikanerinnen betritt den Laden, sie sehen genervt aus, bevor sie überhaupt bestellt haben. Ihre Laune wird nicht besser: Vermutlich haben sie den Appetit verloren, als sie aufs Klo gegangen sind. Die Frau, die am dominantesten aussieht, geht an den Schalter und erklärt die Klo-Situation, all das Blut. Sie ist sichtlich angeekelt und entsetzt. Der Kassierer hört sich die Geschichte an - und arbeitet wortlos weiter.

Erst jetzt fällt mir auf: Niemand hinter der Theke redet, jede/r arbeitet schweigend vor sich hin. Kein freundliches Wort fällt, kein böses. Die Angestellten erinnern eher an SklavInnen auf einer Galeere denn an Service-MitarbeiterInnen.

"Kannst du nicht mal nachfragen, wo unsere Pizza bleibt?"

Schwesterherz unterbricht meinen Gedankengang von der weltweit prekären Situation der Geiseln in der Systemgastronomie. Sie klingt ungeduldig, zu Recht: Inzwischen warten wir schon 40 Minuten, die Jungs sind mit ihren Pizzen längst fertig. Ich seufze. Ich hasse es, meine Bedürfnisse durchzusetzen.

Vorsichtig schleiche ich zum Schalter und frage nach, wo unsere Bestellung bleibt. Der Kassierer dreht sich schweigend um und geht nach hinten. Lässt mich einfach stehen. Es gibt miesen Service und es gibt die Komplett-Vernachlässigung. Diesen Abend gibt es Letzteres. Nach einer Weile kommt er wieder. "Die KollegInnen haben die Pizza vergessen. Kommt gleich."

Sein Blick ist leer. Er sieht mich nicht an, er sieht durch mich hindurch. Er ist viel zu jung, um innerlich so tot zu sein. Die inhaltslosen Augen scheinen mich in einen Abgrund zu ziehen, in einen eisblauen Graben. Gletscherkalt ist es dort. Ich bekomme Angst, wende mich schnell ab. Ich setze mich zurück zu den anderen. Warte.

You're as cold as ice. photo by me.


"Han."

Das ist der Name, den ich angebe, wenn ich es Leuten besonders einfach machen will. (Und weil es an Han Solo erinnert, wie cool ist das denn? Aber menschliche Regungen sind an einem Ort wie Domino's fehl am Platze.) Der Ruf wirkt wie ein Befehl. Ich stehe ruckartig auf, gehe zur Theke. Der junge Kassierer drückt mir das Geld für die Pizza in die Hand.  Meine Augen müssen so groß wie Medium-Pizzen sein. Was mache ich jetzt mit dem Geld?

"Sorry about that."

Seine Stimme klingt roboterhaft. Inzwischen glaube ich, dass ich von einem ausgefeilten Automaten bedient werde. Der teigige (haha) Hautton erinnert an Silikon, die strohblonden Haare unter seiner Baseball-Kappe an eine schlechte Perücke. Kriegen wir jetzt noch etwas zu essen? Hat sich die Sache mit der Re-Transaktion erledigt? Ich möchte ihn schütteln, ihn aus seiner zombie-artigen Existenz erlösen. Stattdessen nicke ich nur, stecke das Geld ein. Warte.

Nach weiteren zehn Minuten halte ich die Pizza in den Händen. Wir verlassen das Domino's wie in Trance, plötzlich sitzen wir wieder im Auto, Schwesterherz und ich hinten, der fettige Pizzakarton zwischen uns. Wie sind wir hierhin gekommen? Wir essen wortlos unser Abendessen.

"Wir haben jetzt drei Pizzen zum Preis von einer bekommen."

Mein Bruder bricht das Schweigen, sichtlich amüsiert.

Ich kaue und grinse ein bisschen dabei.

"Achja, richtig. Haha. Ha."







*Edit: gemeint ist das biologische Geschlecht.

Hört auf, Japan nach Rassismus zu fragen!

Gestern (30. März) kam der Film Ghost in the Shell heraus. Ich ging mit geringsten Erwartungen in den Film und selbst diese wurden noch unterboten. Ich saß im Film wie dereinst Shia La Boeuf. Eine vollständige Rezension von mir findet ihr in der Online-Ausgabe des Missy Magazine. Der Film ist nicht nur aus filmischer Sicht mies (empfehlenswert ist der absolut kunstvolle Verriss auf Zeit Online - ein lyrischer Traum von einem feuilletonistischen Rant), sondern er ist auch unglaublich rassistisch.


weiter

Warum ich gerne zur Arbeit gehe.

via Death to Stock Photo
Wann sollte man über die Arbeit schreiben, wenn nicht im Urlaub? Die meisten wissen, dass ich nicht Vollzeit als Schreiberin arbeite. Inzwischen verbringe ich einen großen Teil meiner Arbeitszeit mit Zahlen verschieben in Excel-Tabellen. Aber ich achte immer darauf, ausreichend Zeit fürs Schreiben zu reservieren: Sei es für Newsletter oder Artikel über Wearables und ihren Einfluss auf den Personalmarkt im Bereich Medizintechnik (zielgruppengerecht schreiben war schon immer meine Stärke).


Heidi und ich.

Wer da nicht Gitti und Erika jodeln hört...


Hin und wieder bekomme ich interessante Anfragen aus dem Elfenbeinturm - Studierende der Gesellschafts- und/oder Medienwissenschaften kommen gerne auf mich zu, um meine Meinung zu hören und diese in Abschlussarbeiten zu, nun ja, verarbeiten. Allen, auf die ich nie geantwortet habe: Es tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe - manchmal kommt etwas dazwischen, sodass ich keine Zeit finde.

Ich also als Studienobjekt für qualitative Auswertung zu Migration und Fremdheit. Kein Problem, wenn ich schon eine Spokesperson für Asiatisch-Deutsche bin. Nun wurde ich Ende letzten Jahres interviewt zu meiner Medienbiographie. Kurz gesagt, meint man damit die Medien, die mich in meinem Leben geprägt haben. Ich empfinde mich wirklich noch nicht als sehr alt, aber ich habe immer viel Medien konsumiert. Es hatte beinahe etwas Zwanghaftes. Mit meinem Medienkonsum könnte man Bücher füllen.

Aus einem simplen Interview wurde eine tiefgehende Analyse meiner seelischen Befindlichkeit. Stellt sich heraus, dass die Medien, die wir konsumieren, viel über uns aussagen. Case in Point: Heidi. Ich mochte Heidi immer, besonders in der schwarzhaarigen, japanischen TV-Version. Das ging sogar so weit, dass ich sie eine Zeitlang in meinem Tinder-Profil als Bild hatte. Warum Heidi? fragte mich die Interviewerin. Bis dahin hatte ich mir nie so viel Gedanken darüber gemacht. Ich versuchte meine Beziehung zu der Figur zu erläutern. Ihr und mir.

Wer ist Heidi?

Für alle, die ohne Fernseher aufgewachsen sind, eine kleine Zusammenfassung.
Heidi ist ein Waisenkind, das zunächst bei seiner Tante Edith aufwächst. Als die nach Frankfurt geht für die Arbeit, wird Heidi zu ihrem Großvater abgeschoben, der einsam auf einer Berghütte lebt und nur wenig mit den Menschen unten im Dorf zu tun hat. Er soll in seiner Jugend jemanden umgebracht haben, raunt man sich im Dorf zu. Aber Genaues weiß man nicht. Jedenfalls ist der Alm-Öhi unheimlich und sehr verschlossen. Heidi schafft es mit ihrem unbekümmerten und freundlichen Wesen den alten Mann aufzutauen und ihn menschlicher zu machen. Bis Tante Edith zurückkehrt und Heidi gegen ihren und Alm-Öhis Willen nach Frankfurt mitnimmt, wo sie im Haus einer reichen Familie der im Rollstuhl sitzenden Klara Gesellschaft leisten soll. Heidi kommt mit den Gepflogenheiten des reichen Bürgerhauses nicht zurecht, sie sehnt sich nach der simplen Bergwelt und beginnt vor lauter Heimweh schlafzuwandeln. Heute würden wir es vermutlich Depressionen nennen. Der Hausarzt der Frankfurter Familie drängt schließlich darauf, Heidi wieder zurück in die Berge zu bringen.

Ähnlichkeiten

Oberflächlich verbindet mich mit Heidi nicht viel. Außer der erwähnten schwarzen Haare, aber auch nur in der Anime-Version. Überall sonst ist Heidi natürlich blond. Nichtsdestotrotz war es ein Anknüpfungspunkt. Aber es geht hier nicht um ähnliche biographische Eckdaten oder Äußerlichkeiten, sondern um Gefühle und Empfindungen. Und für mich als kleines Kind gab es davon eine Menge. Als Kind will man vor allem spielen und Spaß haben und Dinge entdecken. Lernen ja, aber nicht um Ziele zu erreichen. Still sitzen und brav sein ist auch anstrengend. Der Trott von Institutionen wie Schule oder Kindergarten ist nicht attraktiv. Ohne wie eine Waldorferzieherin klingen zu wollen: Freiheit ist den meisten Kindern ziemlich wichtig. Da war ich als Kind auch nicht anders: den ganzen Tag mit Zicklein spielen, auf Wiesen herumrennen und Blumen pflücken - wo kann ich unterschreiben? Ganz ehrlich: Wenn ich heute damit durchkäme, würde ich nichts - nichts! - tun. Ich wäre stinkend faul.

Traumatische Ereignisse

Die deutschsprachige Version kommt durch die Musik und den Soundtrack leicht und lustig daher. Sieht man sich die japanische Originalversion an, ist der Ton wesentlich melancholischer, verhaltener. Der Aspekt von Heidis Heimatlosigkeit und Entwurzelung, besonders in der Frankfurt-Episode, wirkt durch die Musik nicht einfach nur traurig, sondern regelrecht traumatisch. Heidi in Frankfurt war mir als Kind immer besonders nah. Einerseits haben Kinder das Problem, sich den Erwachsenen mitzuteilen und ernstgenommen zu werden (ich hoffe, dass das heute besser ist). Zusätzlich muss Heidi mit ihr fremden Sitten und Gewohnheiten in einer gänzlich anderen Umgebung umgehen. Wie ein Fisch ohne Wasser ist sie ganz außerhalb ihres Elements. Sie wird in eine ihr fremde Umgebung verpflanzt, stößt auf Unverständnis und ist ein Fremdkörper. Sie passt einfach nicht rein, fühlt sich falsch. Klingt bekannt? Aber hallo. Als Kind konnte ich dieses Gefühl vielleicht nicht artikulieren, gespürt habe ich es dennoch.

Heidi war eine der wenigen Figuren, die mir als kleinem asiatisch-deutschen Mädchen eine Identifikationsfläche boten. Ein kleines Mädchen mit eigenem Kopf, freiheitsliebend, bisweilen unverstanden, aber lebenslustig und trotz ihrer Lebensumstände unglaublich widerstandsfähig.

Ob mir Heidi heute noch etwas zu sagen hat? Vielleicht einfach nur, dass man nicht viel braucht, um glücklich zu sein. Und dass man einen Ort oder Menschen braucht, bei denen man sich zuhause fühlt.
Und dass Jodeln glücklich macht. Glaubt ihr nicht? Dann machen wir hier mal eine "Try not to smile"-Challenge:



In diesem Sinne. 

Alles neu?

Hallo 2017, auf Nimmerwiedersehen 2016!

Das vergangene Jahr war in mehr als nur einer Hinsicht anstrengend und frustrierend. Ich muss nicht erwähnen, was an 2016 alles suboptimal war. Und 2017: Mir graut vor dir. Denn wir ernten, was wir letztes Jahr säten. Auf politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene.



Privat war es bei mir chaotisch, weshalb ich wenig aktiv war. Wie oft habe ich diesen Grund die letzten zwei Jahre angeführt... Nur so viel: Ich bewundere und beneide diejenigen, die feste Beziehungen führen. Wie zum Teufel macht ihr das?! Wie habt ihr jemanden gefunden, bei dem ihr bleiben wollt und der auch bei euch bleiben will?! Auf länger?!! Ich halte mich ja wirklich nicht für das Nonplusultra der menschlichen Evolution, aber zumindest für ganz OK.

Vielleicht ist das einfach der Dinge, die ich nicht kann: Beziehungen führen. So wie ich nicht schnell rennen kann und es niemals so gut können werde wie andere. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Ich habe entweder zu hohe oder zu niedrige Ansprüche. Ich bin mir sicher, eins von beiden muss es sein. Versuch macht in diesem Fall auch nicht klug. Es erhöht nur die Chancen für sexuell übertragbare Krankheiten.

Der Impuls bei mir ist groß, mich ins Bett zu verkriechen, die Decke über den Kopf zu ziehen und zu sagen: Weckt mich 2018. Was haben wir mit Trump, Brexit, offenem Rassismus und mieser Popmusik schon 2017 zu erwarten?

Das geht natürlich nicht. Unsereins muss ja auch essen und arbeiten. Ich habe keine Hoffnung, dass ein neues Jahr alles neu macht. Ich bin immer noch ich, die Welt ist immer noch wie sie ist und wenn es Fortschritt gibt, dann so langsam, dass man es kaum wahrnimmt. Zumal schlechte Neuigkeiten immer erfolgreicher sein werden als gute.

Also warten wir ab und harren der Dinge, die da kommen. Ich beäuge 2017 jedenfalls misstrauisch und mit einer hoffentlich gesunden Skepsis.

Bring it on.