Ein Text, in dem ich mir Gedanken zu Sprache, Texten und dem Übersetzen widme. Weil einfach nur Worte übersetzen einfach nicht genug ist, will man einen ordentlichen Text.
Ich habe ja das unglaubliche Privileg, dass ich mit dem Texten Geld verdiene und bequem meinen Lebenswandel mit meinem Umgang mit Worten finanzieren kann.
Auch wenn ich in der Arbeit viel häufiger koordinieren, planen und E-Mails beantworten muss, schreibe und texte ich nach wie vor sehr viel. Slogans machen mir sehr viel Spaß, aber auch Broschüren, Einladungen und Whitepapers verschmähe ich nicht. Heute war mal wieder mein Textgefühl gefragt: Ich sollte den Text für ein E-Book überprüfen, der aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wurde. Wir griffen dafür auf den Service einer in London ansässigen Übersetzungsagentur zurück.
Oh boy. Nachdem ich zwei Seiten des E-Book gelesen hatte, wollte ich schon nicht mehr. Der Text war an sich korrekt übersetzt, aber das reicht nicht. Es ist für mich als Linguistin und Literaturwissenschaftlerin eine banale Erkenntnis, aber zum gekonnten Übersetzen gehört mehr, als Wortbedeutungen nachzuschlagen und sie in grammatisch korrekte Sätze zu gießen. Das ist die absolute Grundlage. Die Kür ist der Stil und der Habitus einer Sprache.
Denn "technically correct is NOT the best kind of correct".
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Technically correct is NOT the best kind of correct. |
Wenn man Texte übersetzt, wendet man nicht einfach nur Regeln der Wortübertragung und Grammatik an. Man muss auch in eine andere Kultur übersetzen. Damit meine ich nicht die Frage, ob man einen Hot Dog als Wiener Würstchen bezeichnet. Sondern eher: Wie sieht ein informativer, werblicher Gebrauchstext im Deutschen aus, wie im Englischen? Wie klingt im Norwegischen Fachliteratur (sehr locker), wie im Französischen (sehr förmlich)?
Nicht alles, was in einer Sprache technisch möglich ist, genügt ihren ästhetischen oder stilistischen Ansprüchen. Ein/e MuttersprachlerIn würde das sofort erkennen, das irgendetwas nicht ganz passt, ohne mit dem Finger darauf zeigen zu können.
Nein, so einfach ist es nicht. Ellenlange englische Partizipialkonstruktionen oder Gerund sollte man nicht mit fünf Relativsätzen hintereinander übersetzen. Niemand sagt im Deutschen "vor 24 Monaten"; so spricht man allenfalls vom Alter eines Kleinkinds. Und was ist bitte "den Finger am Puls der technischen Innovationen"? Eine astreine Stilblüte.
Mir fällt immer wieder auf, dass das Deutsche sehr viel kompakter und bedeutungsschwerer ist als das Englische. Als ob pro Wort, pro Phrase mehr Inhalt transportiert werden müsste, weil man sonst riskiert, zu indirekt zu sein. Das Englische lässt einem aus deutscher Sicht mehr Freiheiten, es klingt auch im Ungefähren noch gut. Derselbe Satz, einfach ins Deutsche übertragen, hört sich hingegen seltsam flach und blutleer an. Wischiwaschi. Wie Flasche leer. Oder im Gegenteil sogar zu bedeutungsvoll - man übersetze einfach mal einen englischen Popsong, da hat man einen hohen Fremdschamfaktor, weil die Bedeutung zu konkret wird: "Hör auf mit meinem Herzen zu spielen", "Halt! Im Namen der Liebe" oder "Ich kann ohne dich nicht leben". *schüttel*
Das Deutsche hat einen gewissen Pathos, mit dem man lernen muss umzugehen. ÜbersetzerInnen haben da eine große Verantwortung - sie übertragen nicht einfach nur, gewissermaßen schaffen sie ein (literarisches) Werk neu. Ich erinnere mich an einen Podcast des Autors und YouTubers John Green, der voll des Lobes war für seine deutsche Übersetzerin, Sophie Zeitz. Man kennt ihn vor allem für
Das Schicksal ist ein mieser Verräter (engl. The Fault in Our Stars), das ein Bestseller und ein erfolgreicher Film war. Seine Übersetzerin mache ihre Arbeit so gut, so Green etwas verblüfft, dass seine Werke in Deutschland mit denen von Jonathan Franzen und anderen amerikanischen literarischen Berühmtheiten verglichen würden.
Eine gute Übersetzung, so meine Auffassung, gibt einem eine "suspension of disbelief" - man akzeptiert das Universum des Werks, als ob es Fakt wäre. Eine schlechte Übersetzung hingegen zeigt Risse, an denen man deutlich ablesen kann, dass es nicht das Original ist, sondern eine minderwertige Kopie. Vermutlich ein weiterer Grund, warum ich Super Sad True Love Story nicht wirklich genossen habe. Ich hatte immer deutlich vor Augen: Das ist eine Übersetzung, das klingt nicht authentisch.
Die Eigenheiten jeder einzelnen Sprache machen das Übersetzen zu einer Herausforderung, weil man unweigerlich nicht alles übersetzen kann. Schwesterherz und ich haben eine Theorie, warum gerade Haruki Murakami einer der wenigen japanischen AutorInnen mit Weltruhm ist. Schwesterherz meinte, es liege an seiner lakonischen, sehr eindeutigen Sprache. Das japanische Schriftsystem mit seinen verschiedenen Lesarten erlaube ausgefeilte Wortspiele und Doppelbödigkeiten, weil man mehrere Bedeutungen eines Kanji gleichzeitig lesen könne.
So etwas ist unübersetzbar, wenn man nicht die Hälfte jeder Romanseite mit Anmerkungen versehen will. Überhaupt gilt für Wortwitz dasselbe wie für gewöhnliche Witze: Einmal erklärt, sind sie nicht mehr witzig. Ähnliches gilt für Lyrik, deren Bedeutung man zwar übertragen kann, deren Klanglichkeit, gewissermaßen deren Duft, niemals wird erfahren können wie ein/e kompetente/r SprecherIn.
Wie dem auch sei. Das Ende vom Lied war, dass ich der Agentur ihre Übersetzung mit 20 Kommentaren auf der ersten Seite zurückgeschickt habe. Diese enthalten sinnvolle Hinweise wie
"kommerziell is a terrible choice for commercial"
"this sentence manages to be cluttered and meaningless at the same time"
"no"
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