5 Dinge, die ich dieses Jahr gelernt habe



Das Kalenderjahr ist ein seltsames System: Es ist in zwölf Monate aufgeteilt, die völlig grundlos unterschiedlich lang sind, an unterschiedlichsten Wochentagen beginnen und außer dem Lauf der Erde um die Sonne keiner stringenten Logik folgen. Im Jahr 1902 erfand der Brite Moses B. Cotsworth deshalb ein neues Kalendersystem. Er war ein Mann der Vernunft und durch und durch ein Pragmatiker, weshalb sein Kalender aus 13 gleich langen Monaten bestand. Jeder Monat hatte in seinem Modell 28 Tage, zwischen Juni und Juli schob er den 13. Monat Sol. bei 13 Monaten macht das aber nur 364 Tage. Wo kam also der Tag hin, um das normale Jahr voll zu machen? Zwischen die Jahre, als Feiertag, dem sogenannten "Year Day". Der Year Day sollte keinem Jahr angehören, sondern wortwörtlich zwischen den Jahren liegen. (Wer mehr über andere Kalenderideen erfahren möchte, dem empfehle ich die Folge "The Calendar" im Podcast 99 % Invisible. Darin geht es auch um Kodak, das jahrzehntelang eine Abwandlung von Cotsworths Kalender verwendete.)

Ich mag das Konzept des 13-monatigen, uniformen Kalenders aufgrund dieses Year Day. Dass in diesem Modell jeden Monat ein Freitag der 13. ist - egal. Schon als Kind hatte ich mir gewünscht, dass zwischen Silvester und Neujahr eine Pause liegen sollte, um sich auf das neue Kapitel vorzubereiten, Rückschau und Ausschau halten zu können. Da ich aber keinen Year Day bekomme, muss ich den Rückblick auf den 31. Dezember verlegen.

Es war ein einigermaßen turbulentes Jahr für mich, spannend, interessant und abwechslungsreich im wahrsten Sinne des Wortes. Deshalb zum Abschluss: 5 Dinge, die ich dieses Jahr gelernt habe.

1. Arbeit kann Spaß machen 
In meinem Leben habe ich doch schon einige Jobs und Arbeitgeber durch. Alle waren sie lehrreich, manche waren spannend, manche eher weniger. Anfang dieses Jahres landete ich in einem Unternehmen, wo mir meine Arbeit tatsächlich Spaß macht. Es ist für mich die ideale Mischung aus Teamwork, Unabhängigkeit, Kreativität und Herausforderung. Ich mag es, KollegInnen zu haben, selbst wenn sie ganz anders sind als ich - viele sind sehr extrovertiert, extrem gesellig. Es gab Zeiten, an denen ich mich vor Montagen fürchtete. Die Zeiten sind erst einmal vorbei.

2. Glück ist das, was man an einem gewöhnlichen Mittwochnachmittag empfindet
Machen wir uns nichts vor: Im Leben wollen wir vor allem glücklich sein. Tolle Arbeit, großartige Freunde, euphorische Liebesbeziehung, Ruhm und Reichtum. Jeder Tag sollte am besten wie Geburtstag sein. Tatsächlich aber besteht das Leben viel häufiger aus grauen Mittwochnachmittagen, an denen man in einer Excel-Tabelle feststeckt und nicht einmal die Energie hat, sich die Fingernägel einfarbig zu lackieren. Aber wisst ihr was? Das ist OK. Es lebt sich wesentlich entspannter, wenn man eben nicht jeden Tag so lebt, als wäre er der letzte. Wer riesige Erwartungen an das eigene Leben schürt, kann nur enttäuscht sein. Ich muss keinen Pulitzer-Preis gewinnen, kein Mensch muss meinen Namen kennen und Liebesbeziehungen müssen keinen Rausch auslösen.

3. Beziehungen sind schwierig
Damit wären wir beim Thema Liebe und Liebesbeziehungen. Das Jahr war zum großen Teil in dieser Beziehung (haha) hervorragend, bis dem eben nicht mehr so war. Aber zumindest weiß ich inzwischen, dass ich bereit bin, mich selbst in Beziehungen einzubringen, ich selbst zu sein und auch den anderen so zu lassen wie er ist. Das Problem liegt wirklich darin, zwei Menschen dahin zu bringen, gemeinsam in eine Richtung zu laufen. In unserer individualistisch geprägten Kultur ein schwieriges Unterfangen. Beide müssen es wollen und sobald eine/r nicht mehr will, ist es vorbei. Da kann man noch so sehr an sich gearbeitet haben. Zumindest habe ich etwas daraus gelernt und irgendwann kommt wieder die Zeit, wo ich wieder da rausgehe, Leute kennenlerne und es wieder versuche. Ob ich noch einmal darüber hier schreibe? Nur wenn das ausdrücklich gewünscht ist ;)

4. Konsum kann Spaß machen
2014 habe ich vor allem damit verbracht, mein Geld zusammenzuhalten und sparsam zu leben. Sagen wir, dass es gewisse Sachzwänge gab. Ich habe keine Klamotten und kaum Nagellacke gekauft, war so gut wie nie essen, war nicht im Urlaub und verbrachte die meiste Zeit zu Hause. 2015 habe ich umso mehr das Geld mit vollen Händen ausgegeben und wisst ihr was? Es war toll. Ausreichend Geld zu haben beruhigt die Nerven. Minimalismus ist OK, aber manchmal tut es gut, großzügig sein zu können - zu sich selbst und zu anderen. Es macht nämlich schon einen riesigen Unterschied ob man reduziert lebt, weil man will oder weil man muss. Der/die gewöhnliche Hartz4-EmpfängerIn wird das Einkaufen bei der Tafel kaum als Lifestyle ansehen. Es ist sicherlich eine Tugend, asketisch zu leben, zumal es auch besser für unseren Planeten ist. Aber es ist genauso eine Tugend, den/die innere/n EpikuräerIn rauslassen zu können. Oder, um es mit der Mystikerin Theresia von Avila zu sagen: "Fasten ist Fasten und Rebhuhn ist Rebhuhn."

5. Was andere denken ist nicht egal
Ich bin hervorragend darin, andere Leute zu ignorieren. Wobei ignorieren das falsche Wort ist, das impliziert Vorsatz. Oft genug sind andere Menschen für mich wie Steine. Ich nehme sie zwar als Objekte wahr, aber sie haben für mich keinerlei Bedeutung oder Auswirkung. Diese Sichtweise ist an sich nicht verkehrt, sie kann sehr nervenschonend sein, weil man sich so nicht beirren lässt. Schwierig wird es aber im zwischenmenschlichen Kontakt. Was, wenn die andere Person signalisiert, dass sie extrem sauer ist? Was, wenn ich das überhaupt nicht merke? So stoße ich Menschen vor den Kopf ohne es zu wollen.
Mir fiel schon früher auf, dass ich schlecht darin bin, andere Menschen zu lesen, schob das aber auf meine generelle "social awkwardness". In dieser Hinsicht scheine ich eine Art Farbenblindheit zu haben. Heißt: Ich brauche die Holzhammermethode um zu verstehen, was andere empfinden. Heißt aber auch: Ich muss mich mehr bemühen, damit ich Signale nicht verpasse. Möglicherweise habe ich in der gescheiterten Beziehung genau diesen Fehler gemacht - aber wer weiß das schon im Nachhinein.

Das war 2015. Es hatte Hochs, es hatte Tiefs, es hatte Mittelmäßiges. Ich wünsche euch allen ein gutes neues Jahr 2016. Mal sehen, was sonst noch so alles passiert - persönlich und auf der Welt.

Vielen Dank an euch alle, die ihr mir über Jahre die Treue haltet und für all eure lieben Wünsche und ermutigenden Worte in den letzten Wochen - es hat mir viel gegeben und mich sehr gerührt. Ihr seid die besten!

Push Pause.

Pause Button by Charlotte90T


Eigentlich wollte ich noch so viel schreiben. Über die deutsch-vietnamesische Tagung "Brückenschlag" im September, meinen Urlaub, Interviews mit Leuten, die ich im Urlaub traf, neue Serienberichte (Sehempfehlung für Fresh Off The Boat und Master of None) und vieles mehr. Aber es geht gerade nicht. Ich kann nicht mehr.

Manchmal überrollt dich das Leben einfach. Ihr erinnert euch an meinen Tinder-Teil 3? Manche Dinge sollte man nicht beschreien. Der Gefährte hat sich entschieden einen anderen Weg einzuschlagen. Anstatt eines langen gemeinsamen Spaziergangs hat er eine frühere Abzweigung genommen und ich stehe da und frage mich, was zur Hölle gerade passiert ist.

Warum ich das so offen schreibe, damit es die ganze Welt lesen kann, sich denken kann: "Ha, das hat ja wunderbar geklappt mit asiatisch-deutschem Dating!" Warum ich mich dem aussetze? Weil ich ehrlich sein will. Das Leben ist kein Märchen, manchmal ist es random und beschissen und unerklärlich. Da kann man sich noch so sicher fühlen, so sehr mit sich im Reinen sein, das Leben kennt doch Wege, dich zu überraschen. Zu diesem Tanz gehören immer zwei, manchmal reicht die Kraft nicht, weiterzumachen, oder es macht keinen Spaß mehr oder man hat sich etwas anderes vorgestellt. Egal, was es letztendlich war: Es ist vorbei.

Ich bin enttäuscht (was für ein Witz, zerstört trifft es besser), denn vierte Teile (ich betrachte diesen Eintrag als inoffiziellen Naekubi auf Tinder Part 4) sind notorisch schlecht. Tetralogien zerstören die heilige Dreifaltigkeit der Trilogien, die besten Dinge sind als Dreiakter angelegt. Dass ich einen unbefriedigenden vierten Teil dranklatschen muss, fühlt sich nicht nur wie eine persönliche, sondern eine politische Niederlage an. Vielleicht wollte ich unbedingt zeigen, dass asiatisch-deutsches Leben, Versöhnung mit einem selbst und den vernachlässigten Aspekten der eigenen Persönlichkeit möglich sind. Vielleicht wollte ich für meine asiatisch-deutschen LeserInnen Vorbild sein, zeigen, was alles möglich ist, wenn man sich selbst herausfordert. Well, look how that turned out.

Jetzt kommt die harte Landung. Mein Beziehungsprojekt ist gescheitert. Hat eine Bauchlandung hingelegt und ist in Flammen aufgegangen. Nur weil jemand ähnliche Wurzeln mit dir teilt, heißt das nicht, dass Beziehungen besser funktionieren. Die Wurzeln sind nur ein winziger Teil, es hängen ja Stängel, Blätter, Blüten dran, um bei der Metapher zu bleiben. Ich wollte, dass meine Erzählung anders verläuft. Es hat nicht geklappt, aus Gründen ganz unabhängig von Herkunft. Meine Geschichte hat sich entwickelt in eine alanis-morissetteske Interpretation von "Ironic".

Was bleibt mir hier zu sagen? Wie geht es hier weiter? Ich weiß es nicht, ich fühle mich leergeschrieben, erschöpft und überspannt. Das Bloggen fühlt sich an wie eine Pflicht, eine Verantwortung, der ich entkommen möchte. Im Moment verspüre ich wenig Lust, mich mit dem auseinanderzusetzen, was außerhalb meiner selbst passiert: Syrien-Vertriebene, Anschläge, gesellschaftliches Klima, Feminismus, Fernsehen, Asiatisch-/Vietnamesischsein - ich bin nicht in der Lage, kluge und reflektierte Aussagen dazu zu machen. Stattdessen bin ich nur mit mir selbst beschäftigt, was mir irgendwie leid tut. Aber ich kann nicht anders.

Was ich also sagen will: Ich mache eine Pause.

Danke und bis später.

Back from California - erste Ansichten.

Sicht von Zabriskie Point in Death Valley.


Da bin ich wieder, zurück aus dem Urlaub in Kalifornien und zurück im deutschen Herbst. Ich genieße es fast, wieder zu frieren. Da schmecken die Lebkuchen besser. Ich habe Städte groß und klein, Wüsten, Wälder, Strände besucht, viel gegessen, viel gesessen (vor allem im Auto, aber dazu wann anders mehr) und ein wenig Abstand gewonnen. Ehe ich meinen ausführlichen Reisebericht abliefere, gibt es hier noch ein paar Erkenntnisse, die ich auf der Reise gewonnen habe.

Übrigens ist mein erster Artikel auf bento erschienen, der "jüngeren", internet-affinen, buzzfeedesken Webseite aus dem Hause Spiegel Online. Ich habe mich mit dem deutschen Fernsehen und seiner Weißheit auseinandergesetzt - zu lesen hier.

Kinder. Überall Kinder.


Während ich in Deutschland vor allem Menschen mit Hunden wahrnehme, sah ich an der Westküste der USA sehr viele Familien mit Kindern. (Habe ich gerade Kinder mit Hunden verglichen? Ihr wisst, was ich meine.) Egal, wo wir hinkamen: Familien mit Kindern waren bereits da - und hochwillkommen. Als Mensch ohne Kinder fiel mir die Kinderfreundlichkeit auf, die sich vor allem im gesellschaftlichen Klima widerspiegelte. Muss sie ja, schließlich gibt es in den USA weder einen nennenswerten Mutterschutz noch sonstige Benefits. Dennoch scheinen nach meiner anekdotischen Evidenz die Leute wesentlich offener für Kinder zu sein. Ich sah zum Beispiel vor der Fähre nach Alcatraz ein Mädchen an einem Geländer herumturnen, etwas, das Kinder eben tun. Die Angestellte, die uns BesucherInnen durch die Kontrolle winkte, sprach das Mädchen an: "Careful sweetie, I don't want you to hurt yourself." Wie das wohl geklungen hätte in Deutschland? Ich vermute so: "Nicht auf dem Geländer herumturnen!!!elf!!"


2 Rechtschreibfehler an der Golden Gate Bridge.

 

Extreme Zugänglichkeit 


Nun waren meine Reisecompagnons nicht nur in Städten wie Los Angeles, San Francisco oder Las Vegas unterwegs. Es gehörten auch illustre Stationen wie der Grand Canyon, Death Valley und Yosemite Nationalpark dazu. Sicherheitshalber hatte ich Wanderstiefel dabei, doch ich hätte ganz ehrlich auch einfach mit Flip Flops herumlaufen können. Die AmerikanerInnen sind gut darin, sich das Leben bequemer zu machen. Davon profitieren nicht nur faule UrlauberInnen wie ich, sondern auch ältere und gebrechliche Menschen sowie Leute, die auf den Rollstuhl angewiesen sind. Selbst auf den Gipfeln von Yosemite Park (Glacier Point, um genau zu sein) konnte man mit dem Rollstuhl hinauf, um von dort einen herrlichen Blick über den Park zu haben. In San Francisco ist es sogar gesetzlich vorgeschrieben, dass auch für körperlich behinderte Menschen Orte wie öffentliche Toiletten, Verkehrsmittel, aber auch Restaurants und Sehenswürdigkeiten zugänglich sein müssten. Dadurch sah ich auch viel mehr Menschen im Rollstuhl oder ältere Menschen mit Gehstöcken. Man kann die USA verabscheuen wie man will, aber in vielerlei Hinsicht sind sie sehr progressiv.


Sicht auf den Berg El Capitan in Yosemite Park.

Von wegen "melting pot"


Ich hatte angenommen, dass Kalifornien schon sehr durchmischt ist, was die ethnische Herkunft der BewohnerInnen anbelangt. Für Los Angeles trifft das absolut zu: Wir fuhren durch Little Tokyo, Little Bangladesh oder auch Little Ethiopia. Diese Stadtgebiete sind entsprechend ausgeschildert, aber man hätte es auch durch die Beschriftung der Shops und Restaurants gemerkt. Neben den richtig großen Metropolen kamen wir durch den Roadtrip auch durch kleinere Städte, wo wir Rast machten und unseren Proviant aufstockten. Eine hieß Bishop, California, mit ganzen 3.500 EinwohnerInnen. AsiatInnen schienen dort ganz selten vorbeizukommen, wir erregten im örtlichen Supermarkt gewisses Aufsehen. So viele Blicke und Starren kenne ich sonst nur vom fränkischen Dorf. Wenn man noch unseren deutschen Akzent hinzurechnet, kann man sich die Verwirrung vorstellen.
Überhaupt ist das Konzept von asiatischstämmigen Deutschen etwas ganz "Exotisches": Als wir in San Francisco zu dritt in einem der berühmten Cable Cars fuhren und uns wie gewöhnlich auf Deutsch unterhielten, sprach uns ein leicht angeheiterter Mann an: "Wait, are you guys speaking German?" Ja mei, ich kanns verstehen.

Am Strand von Monterey. Nicht im Bild: Kalter Wind.

Smalltalk


Auf der Arbeit telefonieren meine Marketingkollegin und ich sehr häufig mit UK (wir sind ein britisches Unternehmen). Sie regt es tierisch auf, so viel Smalltalk machen zu müssen. Stattdessen möchte sie lieber über die Sachprobleme reden. Es ist ein deutsches Klischee, das stimmt: Die meisten mögen dieses Geplänkel nicht, sie wollen direkt in medias res. Ich habe mir das Smalltalken angewöhnt, weil man selbst in Deutschland nicht ohne auskommt. Über irgendetwas muss man ja reden.
Im englischsprachigen Raum ist es noch wichtiger, es ist eine Frage kultureller Kompetenz: When in Rome, do as the Romans do. Da gehört nun mal diese "hi how are you great how are you"-Routine einfach dazu. Eine Frage der Höflichkeit und der örtlichen Bräuche und Sitten. Ich werde sicherlich niemanden wissentlich vor den Kopf stoßen, um irgendeine Vorstellung von "Deutschsein" durchzudrücken. Ohnehin ist man immer ein bisschen ein anderer Mensch, wenn man eine andere Sprache spricht. Auf Vietnamesisch oder Englisch bin ich anders als auf Deutsch.
Mein Schwesterherz meinte festgestellt zu haben, dass mir Smalltalk Spaß macht. Spaß wäre zu viel gesagt. Ich mache es, weil es das soziale Protokoll in gewissen Kontexten verlangt und weil Anschweigen irgendwie unangenehmer wäre.


Was habt ihr schon im Urlaub für kulturelle Unterschiede feststellen können und gab es etwas, das euch woanders besser gefiel? Mich interessiert eure Erfahrung - ich freue mich auf Kommentare!

Naekubi auf Tinder Part 3: Asiatisch-deutsches Dating und ein Happy End.



Love for all - Matthias Ripp, CC

Dritter und letzter Teil meiner Serie über meine Erfahrungen auf Tinder. Es wird süßlich, wie das so mit Happy Ends ist. Ich habe euch jedenfalls vorgewarnt.


Update zwischen Tür und Angel

Morro Bay - flickr, Edward Conde, CC 2.0

Ich sitze gerade auf dem Boden und packe Koffer. Bitte verzeiht diesen rohen und weitgehend unredigierten Lagebericht! Derzeit geht es bei mir auf der Arbeit und auch sonst ganz schön rund, den gesamten Herbst werde ich quasi nur auf Achse sein.

Zunächst einmal nehme ich teil an der Tagung Brückenschlag, einem Vernetzungstreffen für junge Deutsch-Vietnamesen. Ich bin schon einmal gespannt, wie es dort so wird. Den Referenten Kien Nghi Ha kenne ich bereits vom letzten Jahr, als ich bei korientation in Berlin zu Gast war. Früher mochte ich Treffen mit meinen Landsleuten gar nicht. Ich kam mir immer wie im falschen Film vor, weil ich mich so ganz anders verhielt als die anderen, weshalb ich annahm, ich sei nicht besonders vietnamesisch. Aber mit den Jahren stellte ich fest, dass ich mich in vielen sozialen Kontexten komisch fühle, unabhängig von der Nationalität. Es muss also an meiner Persönlichkeit liegen - ich bin wahrscheinlich einfach ein bisschen seltsam.

Direkt von dort geht es weiter auf Geschäftsreise - ja, Naekubi hat es geschafft und einen "richtigen Job", wie es eine neue Kollegin gestern ausdrückte. Ich darf KollegInnen in Social Media schulen und sie auf die Gepflogenheiten der Kontaktaufnahme über soziale Netzwerke aufklären. Für jemanden wie mich, die seit Jahren sich auf so Netzwerken herumtreibt, sind viele Sachen selbstverständlich. Für viele andere, die noch ein Leben außerhalb des Computers haben, allerdings nicht. Nun habe ich die edle und verantwortungsvolle Aufgabe, gut 600 KollegInnen in Deutschland und der Schweiz Social Media beizubringen. Das wird - anstrengend. Aber ich freue mich drauf. Ich hoffe, dass ich währenddessen selbst zu Updates auf Twitter oder Instagram komme.

Diesen Herbst komme ich aus dem Reisen nicht mehr heraus: Im Oktober geht es für mich auch schon in den Urlaub. Ich wäre aber nicht Naekubi, wenn ich das nicht für meinen Blog nutzen würde ;) Für mich geht es mit Storebror und Schwesterherz nach Kalifornien auf Roadtrip. Wir werden uns vermutlich die Dürre ansehen, die Küste abfahren, Filmlocations besuchen (das Haus Bradbury erscheint mir extrem spannend) und nicht zuletzt: Asian-American Lifestyle erleben. In LA werde ich eine alte Berliner Bekannte treffen, die bequemerweise in Little Tokyo bei einer Organisation für Asian-Americans ein Praktikum macht. Endlos viel Material für den Blog also.

Meine Tinder-Serie habe ich nicht vergessen - der dritte Teil wird kommen, versprochen! Diese Geschichte war von Anfang an auf eine Trilogie ausgelegt, es wäre schade, sie nicht zu vollenden.

So, ich muss weiterpacken. Bis demnächst!

Neues Blogdesign!


Joy! - Luca Rossato, CC

Die Feedly-LeserInnen haben es vermutlich noch nicht bemerkt, aber mein neues Blog-Design ist fertig! Ich freue mich sehr darüber :) Diesmal habe ich mehr Neuerungen eingeführt, denn das Layout ist ganz anders.

Das Logo. So schön, nicht wahr? Ich blieb natürlich der Banane treu, aber das Design finde ich zeitgemäßer und puristischer.

Oben in der Navigationsleiste finden sich unter Kategorien alle Artikel, grob geordnet nach Themen: "Alltag" bezeichnet alle Einträge, in denen es um mich und mein Leben geht, "Kultur" enthält alle Medienkritik, "Politik" ist selbsterklärend genauso wie "Nagelkunst". Ich bin noch nicht ganz durch, alle meine Einträge entsprechend zu kategorisieren, aber das passiert noch.

Weiterhin links sind alle Blogeinträge. Neuerdings könnt ihr Artikel nicht mehr ganz auf der Homepage lesen, sondern müsste auf "Read More" klicken. Das ist auch für mich ganz interessant zu sehen, ob sich die Klickzahlen auf meinem Blog erhöhen. In den üblichen Feedreadern seht ihr nach wie vor den gesamten Artikel.

In der Sidebar gibt es alle Kinkerlitzchen wie meine Social-Media-Accounts, beliebteste Artikel ("Sex mit einer Asiatin" ist ein Dauerrenner - Clickbait deluxe!), das Archiv, der Paypal-Spenden-Button (Spenden immer erbeten) und ganz neu: das E-Mail-Abonnement. Ich bitte um Meldung, wenn das nicht funktioniert.

Seit Bestehen meines Blogs habe ich mir etwa jedes Jahr die Mühe gemacht, alles neu zu designen. Warum? Weil mir Gestalten und Designen einfach Spaß macht und ich sonst nicht dazu komme, Sachen zu gestalten. Vielleicht wäre ich unter anderen Lebensbedingungen Designerin für irgendwas geworden, wer weiß. Heute designe ich allenfalls Texte, was auch schön ist.

Nach fast fünf Jahren Danger Bananas deshalb als Schmankerl ein Screenshot, wie mein Blog anno 2010 aussah:


Hach, wie weit wir gekommen sind. Wahrlich a "blast from the past" :)

SchleFaZ - das schlechteste Fernsehen aller Zeiten, das anti-asiatische Ressentiments bedient

Yellowface, Transphobie und Fatshaming gesucht? - SchleFaZ bietet alle drei.

Blogleserin Maria D. schickte mir den Link zu Oliver Kalkofes Sendung "SchleFaZ - die schlechtesten Filme aller Zeiten", laut Wikipedia eine Satiresendung auf TELE 5, die B-Movies aufs Korn nimmt. In der neuesten Ausgabe von SchleFaZ geht es um einen Eastern: Oliver Kalkofe und sein Partner Peter Rütten sehen sich diesmal einen Hongkong-Klamauk-Streifen an, der im Deutschen den so rassistischen wie dämlichen Titel "Schlitzohr und Schlitzauge - Der Dampfhammer von Send-Ling" trägt. Ich denke, das Problem wird schnell deutlich.



Naekubi auf Tinder Part 2 oder: Warum ich einen Typ mit Yellow Fever datete

Bildmaterial zu Tinder Dating. Gebäudefassade mit der Aufschrift webdate.
Tinder Dating.


Dies ist eine Geschichte darüber, wie ich auf Tinder mich mit einem Typen einließ, der irgendwie einen Asiatinnen-Fetisch hatte. Es ist auch eine Geschichte darüber, wie der eigene Anspruch und die Realität aufeinanderprallen.

"Nein, du machst das falsch! Du musst den Stein mehr aus dem Ellenbogen werfen. Ungefähr so..." Mein Tinder-Date und ich warfen Kiesel in die Isar. Das heißt, wir ließen sie titschern. Er demonstrierte die richtige Technik: Den Ellenbogen eng an der Taille, Handgelenk stabilisiert. Aus der Hüfte heraus bewegte er seinen ganzen Rumpf und gab dem Kiesel ordentlich Schwung. Der flache Stein titscherte heftig über die Isar und klackerte auf die andere Seite des Flusses. Ich versuchte es erneut. Mein Steinchen plumpste nach drei Metern traurig ins Wasser und versank glucksend in der Tiefe. Frustriert und peinlich berührt setzte ich mich ans steinige Ufer.

Ich war auf meinem zweiten Date mit meiner ersten Tinder-Bekanntschaft. Er war groß, schlaksig, hatte wellige Haare und war vor allem: Weiß. Bio-deutsch durch und durch. Um uns herum waren viele Familien und Pärchen, die den letzten schönen Herbsttag nutzten, um an der Isar zu fläzen. Eine Weile schwiegen wir uns an, als ich es nicht mehr aushielt und herausplatzte:

"Bist du eigentlich an mir interessiert, weil ich Asiatin bin?"

Mein Date wirkte überrumpelt ob dieser Meta-Frage und suchte sichtlich nach Worten. Er sagte etwas von "Gesamtpaket", "so wie wenn jemand auf Blondinen steht". Mehr brauchte er nicht zu sagen. Ganz klar, mein Date litt an Yellow Fever, einer Krankheit, die viele Männer (Menschen?) im Westen befällt. Hauptsymptom ist ein starkes Faible für asiatische Frauen.

Symptome für "Yellow Fever" hatte es gleich zu Beginn gegeben. In seinem Profil stand Japanisch als Sprachkenntnis. Außerdem war er einmal mit einer Japanerin verheiratet*. Warum ich mich trotzdem mit ihm traf? Es ist Tinder - Leute treffen sich einfach so. Er schien interessant genug zumindest für ein Date zu sein. Er bestätigte außerdem meine Annahme, dass ich nur interessant für Menschen war, die eine Verbindung zu Asien zu haben. Sei es durch Auslandsaufenthalte, Manga oder K-Pop oder um Reisetipps für den nächsten China-Trip zu bekommen. Aber ganz so einfach ist es nicht.

Pretty Fly for a White Guy

Im Nachhinein ist man immer klüger. Da betreibe ich seit Jahren diesen Blog und kämpfe gegen Stereotype und Rassismus. Ich habe mich immer gegen Yellow Fever und die Sexualisierung von Asiatinnen und die Entmännlichung von Asiaten gewehrt. Und dann ließ ich mich auf jemanden ein, der genau das verkörperte, was im Spiel der zwischenmenschlichen Beziehungen falsch lief. Jetzt zeigte sich, dass frühe Prägungen und Muster aus der Jugend sich nicht einfach mit Lippenbekenntnissen abschütteln ließen.

Es ist ein Jammer, wie viel Einfluss Erfahrungen aus Kindheit und Jugend auf uns haben und welche Lügen wir uns über uns selbst erzählen. Etwa, dass anders sein das Gleiche bedeutete wie weniger wert sein. Dass anders aussehen das Gleiche war wie hässlich sein. Dass man dankbar sein musste für jede/n, der/die dich attraktiv fanden. Und dass man gerade als Frau immer freundlich und verständnisvoll sein soll. Und dass weiß sein und weiß sein wollen normal sind.Muss das schön sein weiß zu sein. Das Weiß-Sein ist nie Thema, es ist als Kategorie nicht existent, kurz: Es ist egal. Die wenigsten "Betroffenen" denken sich als Weiße. Sie sind einfach nur Person.

Einfach ist bei mir nichts: In meinem eigenen Bewusstsein spielt sich das Asiatisch-Sein in den Vordergrund. Goethes "Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein" gilt für Leute wie mich nicht. Ich war nie "nur" Mensch.

Manchmal war ich zu wenig. Asiatischsein bedeutete oft nicht vollständig zu sein. Ich war nicht-weiß, nicht-helläugig, fuhr nicht mit meiner Familie in den Urlaub nach Spanien und hatte keine Großeltern, die ständig Kuchen für mich backten.


Manchmal war ich zu viel. Da war etwas an mir, das die anderen entweder gerne hervorhoben oder vollständig ignorierten. Achtlos hingeworfene Bemerkungen von Bekannten, KlassenkameradInnen oder LehrerInnen vereinten sich in meinem Kopf zu einem Bildnis von dem, was sie in mir sahen. Und was ich in mir sehen sollte. "Mach Kung Fu! Sag etwas in deiner Sprache! Deine Nase ist so platt! Deine Haare sind so schön schwarz! Bist du aus China? Du bist so zurückhaltend - liegt das an deiner Kultur?"

So gerne ich mich als "emanzipiert" von diesen Sticheleien und dem Alltagsrassismus sehe, so sehr hatte ich mich daran gewöhnt, dieses Bildnis der anderen für bare Münze zu nehmen. Sich gegen diese inneren Bilder aufzulehnen ist mühsam, eine zugewiesene Rolle zu übernehmen hingegen einfach. Selbst wenn es eine verzerrte, exotisierte Version einer Asiatin ist. Manchmal reflektiert man nicht genug über sich selbst und erwischt einen schwachen Moment. Mr. Yellow Fever war so ein schwacher Moment.

Außerdem: Er war nett genug, dass ich viele rote Flaggen überging. Wie das Noch-nicht-so-ganz-getrennt-von-der-Exfrau. Dass die (Ex-?)Frau Japanerin war. Dass er mich auf eine Geschäftsreise einlud, um im Nachhinein "meinen Anteil" des Hotels zahlen zu lassen (genau abgezählte 16 Euro). Dass er bei unserem zweiten Date mir dozierte, wie ich Kiesel zu werfen hatte.  Ich bin vielleicht zu weich, zurückhaltend und zu verständnisvoll, was auch so eine angeblich asiatische Rolle ist: Man sagt zu vielem OK und findet sich in einer Situation wieder, die man nie wollte.

Win some, lose some

Irgendwann im Februar war die Sache vorbei - hätte nicht gedacht, dass mal jemand mit mir per Chat Schluss macht. (Schreckliche Dinge, die man angeblich mal gemacht haben sollte: Entlassen werden, per Chat Schluss gemacht bekommen und einen geliebten Gegenstand verlieren. Alles erledigt.) Gründe gab es keine, ich bin mir sicher, es muss etwas Lächerliches gewesen sein. Der passende Abschluss für eine mittelmäßiges Zwischenspiel.

Die ganze Sache war zumindest lehrreich in meiner Selbstvergewisserung. Ich war Asiatin - aber nicht so, wie andere mich haben wollten. Obwohl es nur eine Affäre war, tat das Ende ziemlich weh. Ablehnung mag niemand. Ich hätte mich zurückziehen, Wunden lecken und traurig sein können. Stattdessen tat ich das genaue Gegenteil: Nach einem Tag stürzte ich mich wieder in Tinder. Es sollte das letzte Mal sein.

Fortsetzung folgt...



*Er behauptete, von ihr getrennt zu sein, aber ich bin bis heute nicht sicher, ob dies der Wahrheit entspricht.

Die Toten kommen. Aktivismus, Flüchtlinge und politisch motivierte Kunst

"The Crossing Over", Enamur Reza, licensed under CC 2.0


#dietotenkommen - das Hashtag ging diese Woche durch Twitter und die Medien besprachen die Aktion, mit auseinandergehenden Meinungen und Ansichten. Auf Facebook fragte mich Leserin Xuan, ob ich als PoC meine Ansicht zur Aktion "Die Toten kommen" teilen könnte.

Das "Zentrum für politische Schönheit" transportierte in einer politisch-künstlerischen Performance die Leichname einer Mutter und ihres jüngsten Kindes aus Syrien nach Berlin um sie dort zu bestatten. Die beiden waren auf der Flucht von Syrien nach Europa umgekommen. (Zusammenfassung hier) Meine Gefühle und Ansichten dazu sind - geteilt. Ich erkläre euch genau, woran das liegt.

Menschen als Mittel zum Zweck

Das Zentrum für politische Schönheit hat gute Absichten: Sie wollen die Aufmerksamkeit auf das Flüchtlingsdrama lenken. Die Menschen, die tagtäglich auf armseligste Art und Weise vor unserer Haustür sterben, sollen ein Gesicht und einen Namen bekommen. Wir sollen hinsehen, schockiert sein und unsere politischen VertreterInnen bewegen in Gottes Namen etwas zu tun.
Mit welchen Mitteln man politische Entscheidungen oder "Awareness" erzeugt, ist die Gretchenfrage. Bei "Die Toten kommen" hat man zwei Leichname exhumiert, von Italien nach Deutschland transportiert und bestattet. Ist das makaber oder pietätlos?

Fakt ist: Die Körper dieser Menschen wurden benutzt um eine Botschaft zu transportieren. Menschen sollen, so hat der Philosoph Kant mal gesagt, niemals Mittel zum Zweck sein. Sie sind ihr eigener Sinn und Zweck. Wenn wir die Leichname als Personen betrachten, dann könnte man sagen: Ja, diese Menschen wurden benutzt. Sie können sich nicht dagegen wehren und Einspruch einlegen. Andere Menschen müssen für sie sprechen. Das ist, gelinde gesagt, nicht ideal. Was aber, wenn der "Verwendungszweck" ein nobler ist? Wenn durch diese Aktion auch nur ein Mensch davor bewahrt wird, im Mittelmeer zu verrecken? Aus idealistischer Sicht wäre es weiterhin verboten - Menschen sollen kein Mittel zum Zweck sein.

Doch aus einer pragmatischen Sicht ist es in Ordnung, zumal die Mutter und ihr Kind so wenigstens eine Bestattungszeremonie erhalten haben, wie es sich für menschliche Gepflogenheiten gehört. Ich gehe zudem davon aus (oder hoffe zumindest), dass die überlebenden Familienmitglieder in Vertretung der Verstorbenen ihr Einverständnis gegeben haben. Ich neige zur pragmatischen Lösung, weil das Leben nicht ideal ist und perfekte Lösungen nicht existieren.

Aus kartesischer Sicht (ich denke, also bin ich - d.h. wenn ich nicht mehr denken kann, bin ich auch kein Mensch mehr) sind die Körper nur noch Material. Man könnte alles mit ihnen machen, unter anderem in Berlin bestatten. Das sahen wohl auch die Behörden so: Es war leicht, die toten Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen. Nur lebendig ist schwierig.

Über (politisch motivierte) Kunst

Hier kommt meine Chance die Kenntnisse aus dem Kunst-Leistungskurs anzuwenden. Es gibt viele Definitionen, was Kunst leisten soll. Die meisten setzen Kunst mit Schönheit gleich - Kunst als Augenschmaus, als Dekoration über der Couch oder als Beruhigungspille für den Geist. Deshalb stößt moderne Kunst auf so viel Widerstand: Sie ist nicht schön, nicht dekorativ, sondern hässlich, grotesk, unverständlich. Manchmal hat sie eine Agenda. Ist es in Ordnung, wenn Kunst eine Agenda hat?

Es ist selten, dass Kunst keinerlei Ziel verfolgt außer ästhetisch zu sein. Kunst war immer schon belehrend (religiöse Bildnisse), erzählend (Historienmalerei, religiöse Bildnisse), erotisch (Salonmalerei), aufregend (Historienmalerei) und vieles mehr. Politische oder gesellschaftskritische/-stabilisierende Zwecke gab es bisweilen auch. Ob Kunst gut ist oder nicht, machen einige daran fest wie viele Interpretationen sie zulässt. Kunstwerke mit vielen Bedeutungsschichten ist besser als eindimensionale Kunst. Nordkoreanische Propagandagemälde ist demnach keine gute Kunst - sie lässt nur eine Lesart zu: Wie großartig der Führer und Nordkorea sind. Solche Kunst regt nicht zum Nachdenken an, sondern manipuliert uns, damit wir eine bestimmte Emotion fühlen. Ein Zeit Online-Artikel kritisiert an #dietotenkommen genau das: Es hämmere eine Interpretation in den/die BetrachterIn ein. Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich mag es nicht emotional manipuliert zu werden. Egal zu welchem Zweck. 

Prioritäten setzen - Menschenleben über alles

Jetzt mal Butter bei die Fische: Ich selbst bin kein Flüchtling, ich musste nie fliehen (außer vor potenziellen Nazis, aber das ist was anderes). Meine Eltern jedoch sind selbst per Boot aus Vietnam geflohen. Sie waren verzweifelt über die Situation nach dem Vietnamkrieg: Die südvietnamesische Seite besiegt, sie als Anhänger des demokratischen (aber korrupten) Südens und als KatholikInnen jetzt massiv benachteiligt in einem sozialistischen Land festgesetzt, wollten weg. Sie hätten es nicht gemacht, wenn es nicht wirklich schlimm gewesen wäre. Niemand verlässt seine Heimat für immer, wenn er/sie nicht dazu gezwungen ist.

Ich versuche mir vorzustellen, was meine Eltern dazu gesagt hätten, wenn ein Künstlerkollektiv eine Aktion wie "Die Toten kommen" veranstaltet hätte. Was gewesen wäre, wenn sie auf der Hölle von Pulau Bidong, zwischen zehntausenden anderer Menschen, krank, hungrig, durstig, sonnenversengt verletzt und traumatisiert von so einer Aktion gehört hätten. Ich glaube, es hätte sie einen Scheißdreck gekümmert. Wenn man in einer so schrecklichen Situation ist, interessieren eine/n nur zwei Dinge: nicht sterben und ein Aufnahmeland finden. 

Letztendlich sind solche Aktionen eher an die potenziellen Aufnahmeländer gerichtet, nicht an die Flüchtlinge selbst. Sie sind diejenigen, über die gesprochen wird, weil wir ihnen nicht zuhören würden, wenn sie selber reden würden. Rassismus halt. Also muss jemand aus den eigenen Reihen mit dem richtigen Stallgeruch kommen, damit wir in Europa hinsehen. Ob das Bewegung in die ganze Sache bringt? Ich hoffe, aber ich zweifle auch.

EDIT: Wir haben noch nicht einmal über die Tatsache gesprochen, dass in der Aktion PoC-Körper von Weißen genutzt werden. Letzten Endes sollen PoC davon profitieren, aber die Aktion riecht auch nach aktivistisch-künstlerischer Masturbation. Hätte es nicht bessere Möglichkeiten gegeben, Aufmerksamkeit zu erregen ohne nach dem kolonialistischen Prinzip "Weiße nutzen Nicht-Weiße für egal was" vorzugehen? Das ist Denkfaulheit und Geschichtsvergessenheit bei den KünstlerInnen.

Fazit

Ich finde die Aktion positiv mit Vorbehalten. Menschen mit Kunst auf Flüchtlingsnöte aufmerksam zu machen, ist an sich etwas Gutes. War die Bestattungszeremonie künstlerisch gesehen der beste Weg? Oder überdeckt der Schockwert die eigentliche Aussage? Ich befürchte, dass die empfundene Pietätlosigkeit den eigentlichen Sinn verdrängt. Und was bringt "Awareness", wenn man selbst nicht die politische Macht hat, die entsprechenden Gesetze auf den Weg zu bringen? Ein/e PolitikerIn muss sich dafür einsetzen. Jemand wie Ernst Albrecht. Noch nie von Ernst Albrecht gehört? Der niedersächsische CDU-Politiker Ernst Albrecht wird von den vietnamesischen Boatpeople nach wie vor verehrt, weil er als erster westlicher Politiker Boatpeople aufgenommen hat. Wer wird heute die Rolle von Albrecht einnehmen? Je länger wir warten müssen, desto mehr Menschen werden auf dem Mittelmeer sterben, jeden Tag.


In eigener Sache: Meine Serie über meine Erfahrungen auf Tinder geht bald weiter. Hätte nicht gedacht, dass Gefühle und Beziehungen beschreiben so schwierig wäre. :D

Naekubi auf Tinder Part 1: Warum ich keine asiatischen Menschen date(te)

Will you go for a date? by nattu, CC

Eigentlich hatte ich vor, über Tinder aus Sicht einer Asiatisch-Deutschen zu berichten und von meinen Dating-Erfahrungen zu sprechen. Tinder im Selbstversuch also. Es gibt schließlich unzählige Selbstversuchbücher, von 30 Tage Couchsurfing über ein Jahr lang nur ein Kleid tragen bis hin zu nichts mehr aus Plastik benutzen. Warum also nicht Tinder unter die asiatisch-deutsche Lupe nehmen? Aber hier geht es um mehr als nur um neue Technologien - sondern um die Bestimmung meines Ichs in einem Koordinatensystem, in dem ich irgendwo am Rand verortet bin.

Tinder als Einstieg ins Online-Dating

Tinder ist diese ominöse Dating-App, wo man allein aufgrund äußerlicher Merkmale und einer sparsamen Selbstbeschreibung Menschen kennen lernen kann. Vom Facebook-Profil werden Vorname, Alter, Profilfotos und Interessen gezogen. Anhand der Ortsbestimmung gibt die App an, welche potenziellen PartnerInnen im gewünschten Alter und der angegebenen Entfernung erreichbar sind. Mal von dem datenschutzrechtlichen abgesehen, ist die App vor allem für schnelle sexuelle Kontakte gedacht, neudeutsch "casual dating". Viele verwenden es so (wogegen nichts zu sagen ist). Aber mehr und mehr Menschen verwenden Tinder, um ernsthafte Beziehungen zu suchen.

Die App ist der sanfte Einstieg in die forcierte Partnersuche: Im Gegensatz zu ernsthaften Datingportalen gibt sich Tinder locker-flockig, die App umweht der Flair des Lässigen, Unverbindlichen, und ermöglicht mit seiner niedrigen Einstiegsschwelle den perfekten Start ins Dating selbst für hochseriöse Menschen. Anders als bei Parship und Co. muss ich mich nicht mit Profilseiten aufhalten, in denen ich Lebensmotto und am besten meine Lieblingshandseife angeben soll. Stattdessen wird es UserInnen überlassen, mit Bildern und im Chat von sich zu überzeugen. Verpflichtungen und Verbindlichkeiten halten sich so in Grenzen. 

The Laws of Attraction

So sah ich es jedenfalls, als ich die App herunterlud und mein Profil anlegte. Im September meldete mich an, mit einer Mischung aus Skepsis und Neugierde. Schon im Voraus hatte ich mir eine Vorgabe gesetzt: Keine Ethnie wird bevorzugt oder ignoriert. Ob schwarz, gelb oder weiß: Hauptsache irgendwie interessant. Denn ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich trotz meiner Einstellung für mehr Vielfalt und gegen Rassismus bisher nur mit Westlern Beziehungen hatte. Zudem stellte ich fest, dass ich tendenziell europäische Gesichter bevorzugte, was ich sofort dumm und engstirnig fand.

Das passierte unweigerlich, weil ich weißen Menschen sehr viel häufiger begegnete als alle anderen Ethnien zusammengenommen. Nicht, dass ich andere offen abgelehnt hätte - es waren einfach sehr wenige. Dazu war so gut wie nie jemand dabei, den ich attraktiv gefunden hätte. Lag das daran, dass sie anders als der weiße Durchschnitt aussahen oder weil wir wirklich auf Persönlichkeitsebene nicht kompatibel waren? Sowohl das eine wie auch das andere hielt ich für möglich. Denn es gibt kaum etwas politisch Inkorrekteres als unsere Partnersuche und empfundene Attraktivität. Ein gutes Erklärvideo bietet Dr. Doe von Sexplanations:



Wir alle haben ein bevorzugtes "Field of Eligibles", also ein Spektrum von Menschen, die für uns als PartnerIn infrage kommen. Welches Alter, welches Geschlecht und auch welche Ethnie gehören als Faktoren dazu. In meinem Field of Eligibles kamen nie Menschen mit asiatischer Herkunft vor. Ich lehnte es sogar offen ab, mich auch nur mit jemandem meiner eigenen Ethnie zu treffen. Seltsam? Paradox? Vielleicht auf den ersten Blick.

Der Wurm unter der Lupe

Auf den zweiten Blick zeigt sich ein unübersichtliches Feld von Abgrenzung, Verdrängung und erlerntem Rassismus. Ich weiß nicht, wann ich es in meinem Leben spürte, es muss früh gewesen sein: Ich bemerkte, dass es zwischen mir und den anderen Menschen um mich herum einen Unterschied gab. Diese Menschen mussten bestimmte Fragen nicht beantworten; die wurden nicht ständig gefragt, woher sie kommen oder was für eine Sprache sie zuhause sprachen. Diese Menschen zeigten mir damit, dass ich anders war. Asiatisch eben.

Mit dem Anders-Sein hatte ich immer Probleme. War es zu viel verlangt, genauso behandelt zu werden wie die anderen und nicht wie ein Sonderling? Nicht betrachtet werden wie ein interessantes Studienobjekt, ein Wurm unter der Lupe? Ich hasste die Blicke, die Fragen, das zugeschriebene Fremdheitsgefühl, das mein Aussehen auslöste. In einem schleichenden Prozess begann ich, mein Aussehen abzulehnen. Schließlich war es der Grund, warum ich so anders behandelt wurde. Ich konnte noch so perfekt deutsch sprechen, noch so gut und fleißig in der Schule sein - ich würde immer die Andere bleiben, weil meine Haare ein bisschen dunkler und glatter, meine Augen mandelförmiger und meine Nase flacher waren als beim Durchschnitt. Ich hasste mein Aussehen. Ich schämte mich dafür.

Ich schob dieses Gefühl weg, so gut es ging, doch es holte mich immer wieder ein. Wenn ich einen Korb bekam (was in den awkward teenage years ja häufig vorkommt), dann führte ich es auf mein fremdes Aussehen zurück. Klar, wie konnte ich mir auch einbilden, dass jemand mich attraktiv finden könnte? Ich sah schließlich anders, fremd aus. In meinem Kopf hatte ich ein Bild von mir, das eher Frankensteins Monster als einem Menschen glich. Dann ging der Kreislauf von Selbsthass und Ratlosigkeit wieder los. Dieses Asiatische - ich wünschte es mir weit weg. Ich tat mein Möglichstes, um es von meiner Identität abzuhacken. Ich dissoziierte und verdrängte es ins Schattenreich meines Selbst, wo es lebte und mich heimsuchte, wann immer ich versuchte es zu ignorieren.

Super-Assimiliert und voller Vorurteile

Ich wollte beweisen, dass ich hierher gehörte. Dass ich zu 100% committed war, deutsch zu sein. Vietnamesisch, Asiatisch war out. Möglichst deutsch sein war gut und richtig, weil nur das zählte. Das betraf nicht nur mich, sondern auch mein Beziehungsleben: Klar, äußerlich würde ich nie ein Teil dieser Gesellschaft sein, doch einen weißen Freund zu haben bedeutete, Integrationswillen zu zeigen und nach oben zu daten, denn Menschen weißer Haut schienen besser zu sein als der kümmerliche Rest. Zumindest war es normaler. Seht her, wie assimiliert ich bin! Ich esse Knödel mit Bratensoße, ich habe einen deutschen Freund! Akzeptiert mich! Anders als andere VietnamesInnen mischte ich mich unter die Normalbevölkerung. Meine Einstellung war gut, denn ich trug nicht zur Ghettoisierung vietnamesischstämmiger Menschen bei. Nein, ich mischte mich unters Volk. Unters deutsche, weiße, gewöhnliche Volk.

Außerdem hatte ich aus der Beobachtung von Männern in meiner Verwandtschaft Folgendes gelernt: Asiatische Männer sind (anders als das Klischee im Westen behauptet) gottverdammte Machos und Patriarchen. Sie sind laut, spielen sich in den Vordergrund, wollen alles bestimmen, während die Frauen im Hintegrund bleiben und im Leben wenig zu lachen haben. Mein Vater und meine Brüder waren da anders, aber die waren auch Ausnahmen. (Mutter sagte mal, sie habe meinen Vater geheiratet, weil der nicht viel redete.) Als Feministin sage ich da: Nein danke. Mein selbstbestimmtes Leben wollte ich mir nicht nehmen lassen. Westliche Männer, so meine Überlegung, waren zwar ebenfalls nicht immer Feministen, aber bei ihnen schien mir die Chance höher, dass sie Frauen mit eigenem Willen zu schätzen wüssten. Dass ich hier rein über Vorurteile argumentierte, fiel mir nicht auf.

Kultur und ihr Einfluss auf Attraktivität

Dr. Doe erwähnt es im Video: Die Kultur beeinflusst, wen wir attraktiv finden. Und in dieser Kultur werden bestimmte Menschen nicht als attraktiv gelesen. Dazu gehören gerade asiatische Männer. Nicht nur, dass es nicht allzu viele in Deutschland gibt. Nie sah ich in Medien, wie solche Menschen in Beziehungen aussehen - als Leading Man, versteht sich. Asiatische Männer wurden nie als attraktiv gezeigt, sondern waren entweder Sidekick oder Plot Device. Sie waren keine Helden, sondern Fußnoten. Prädikat: unattraktiv und uninteressant. Was die westliche Kultur von Asiatinnen denkt, ist hinlänglich bekannt.

Letztendlich wollen wir PartnerInnen, die auf einem ähnlichen Attraktivitätslevel wie wir selbst sind. Es tut weh, das zu sagen, aber asiatische Männer empfand ich nie als ähnlich begehrenswert wie den weißen Durchschnitt. Ich lehnte nicht ohne Grund mein Asiatischsein ab, also konnte ich das Asiatische an anderen nicht wertschätzen oder tolerieren. Uns stört das an anderen, was wir an uns selbst nicht akzeptieren können.

Als ernsthafte Person nahm ich auch so etwas Banales wie Tinder ernst: Ich musste mir dazu meinen eigenen Rassismus und meine Voreingenommenheit eingestehen und mir bewusst eine vorbeugende Regel für das Dating setzen: Auch bei asiatischen Männern sollte (und würde!) ich nach rechts wischen, also Interesse anzeigen. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie das gehen sollte, da ich noch nie einen für mich attraktiven Asiaten getroffen hatte, aber die Möglichkeit wollte ich nicht von vornherein ausschließen. Was würde ich mit so einem tun? Konnte ich einen Asiaten überhaupt grundsätzlich attraktiv finden? Daran wollte ich denken, wenn es denn so weit kommen sollte.


Fortsetzung folgt...

Wochenrückblog 04.05.2015 - Selbstgemachtes, Funktionales Wohnen und Ikea-Speditionen


Und wieder eine Woche vorbei - das ging ruckzuck. Irgendwo im SZ-Magazin habe ich mal gelesen: "Ab einem bestimmten Alter ist alle drei Monate Weihnachten." Ich bin noch gar nicht auf sommerliche Tage mit lange Sonnenschein eingestellt. Der Mai anscheinend auch nicht - es goss aus Kübeln das gesamte Wochenende.


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1. Hotel Anna
Am Dienstagabend mit einer ehemaligen Kollegin getroffen - wir haben beide in derselben PR-Agentur gearbeitet und auch wenn wir viel gelernt haben in dieser Zeit, wir sind doch ganz froh, jetzt dort zu sein, wo wir sind. Die Ex-Kollegin (nennen wir sie P.) hat vor kurzem ihre Doktorarbeit nach langen Jahren Doktorandin-Dasein endlich fertiggestellt und die Verteidigung überstanden. Das Thema ist durchaus spannend: Die ersten Studentinnen an Münchner Universitäten aus historischer Sicht. Wir waren im Hotel Anna gegenüber vom Mathäser, das Münchner Schick verströmt, aber nicht unangenehm ist (ich fühle mich als Arbeiterkind recht schnell irgendwo "falsch"): Alles sehr "wir-lassen-geschmackvoll-den -Feierabend-ausklingen"-mäßig, aber nett. Der Service zumindest war makellos. Von P. ein Kompliment bekommen, dass mir Office-Look hervorragend stehe. Ich sähe nicht verkleidet aus.

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2. Selbstgemachte Tasche
Von der Nähmaschine hatte ich schon erzählt: Von meiner Mutter habe ich ihr altes Gerät in Pflege genommen, inklusive Garantieschein und Quittung von vor 20 Jahren: Damals kostete sie ganze 299 Mark bei Quelle. Und sie funktioniert noch. Ich hasse es ja, mir neue Geräte anschaffen zu müssen. Egal ob Smartphone, Computer oder Haushaltsgeräte: Fast alles hatte ich von Geschwistern oder Eltern geerbt, die sich neues anschafften, während die alten Sachen noch einwandfrei waren. Ok, mein Fairphone bezahlte ich selbst, ebenso meinen Laptop. Aber prinzipiell sehe ich keinen Vorteil darin, mir Neues zu kaufen, wenn ältere Geräte ungenutzt im Keller verstauben.
Doch ich schweife ab: Den Feiertag nutzte ich, um mein erstes Nähprojekt in Angriff zu nehmen: eine Wendetasche. Dank eines gut gemachten Videotutorials (was würde ich ohne YouTube tun?) gelang die Tasche beim ersten Versuch. Nächstes Mal versuche ich mich an einem etwas dickeren Stoff in Blau. Es ist ein herrliches Gefühl, etwas mit den eigenen Händen hergestellt zu haben. Der Mensch braucht so etwas vermutlich, um Kopf und Körper zusammenzubringen.

3. Funktionales WG-Leben
Dieser Artikel auf jetzt.de beschäftigte mich mehr, als er hätte sollen: Hier geht es um ein neues Wohnkonzept aus (na klar) Berlin, bei der Menschen in einer WG leben. Doch anders als im üblichen Modell der Wohngemeinschaft gibt es keine eigenen Zimmer für die BewohnerInnen, sondern nur noch "Funktionszimmer": Geschlafen wird in einem Zimmer, gegessen und gewohnt im nächsten, gekocht im übernächsten. Ein Privatzimmer gibt es als Rückzugsraum, das im Text plakativ als "Sexzimmer" betitelt wurde.
Nun können Leute wohnen, wie sie wollen, wenn ein solches Modell funktioniert, gut für sie. Doch für mich klang dieses Konzept wie die WG aus der Hölle: Diese WG scheint darauf ausgelegt zu sein, Privatheit nur noch zweckgebunden (etwa für Sex) zu erlauben. Etwas Übergriffigeres kann ich mir kaum vorstellen. Ich liebe meine Privatheit, brauche meinen eigenen Raum, um mich ausbreiten zu können. Das sage ich als jemand, die jahrzehntelang mit Schwesterherz ein Zimmer geteilt hat. Vermutlich stört mich diese Kollektiv-WG, weil sie mir scheint wie eine Ausgeburt weißer, mittelschichtiger Weltverbesserungswut, die nur aus Selbstkasteiung und Askese besteht. Ich empfinde es beinahe als zynisch, dieses Leben als neuen Lifestyle zu verkaufen, während andere Leute gar keine andere Wahl haben, als so zu leben. Ähnlich sehe ich den Minimalismus-Trend: Ich mag die Idee des Downsizing und Downgrading, aber diese Einstellung muss man sich leisten können: Menschen, die so aufgewachsen sind, dass sie immer alles hatten, haben mehr "innere Ressourcen" - die brechen nicht in Panik aus, wenn sie nur drei Pullis und fünf Unterhosen haben. Andere, die Mangel erlebt haben, spüren schnell, wie bedrohlich "Nicht-haben" ist.


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4.  Ausgehen in Obersendling
Das Wochenende verbrachte ich mit dem Gefährten (ja, der ist neu in meinem Leben, Details folgen noch). Lustig, dort wo er wohnt, arbeitete ich früher einmal (wie auch Kollegin P.). Der Weg von mir aus war also selbsterklärend. Wenn man irgendwo in der Nähe abends essen gehen will, gibt es nicht viel - außer griechischen Lokalen in unterschiedlicher Qualität. Der nächste war nur zehn Gehminuten entfernt. Ich war schon lange nicht mehr bei einem klassischen griechischen Restaurant in Deutschland, und hatte dementsprechend vergessen, welche Fleischberge dort serviert werden. Es war in Ordnung, die Kellner waren nett und bemüht, aber als Souvenir roch ich danach wie eine Garküche. Den Gefährten störte es nicht, mich umso mehr, weshalb ich gefühlt eine halbe Flasche Summer by Kenzo auf mir versprühte. Garküche an einer Blumenwiese, mmmhhh...


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5. Ikea - the bane of my existence
Viele Leute werden es nicht glauben, aber in meinem Leben habe ich erst einmal einen Ikea betreten. Damals in Norwegen war das die einzige Möglichkeit, günstig an Möbel zu kommen (Norwegen = teuer). Außerdem gab es den superpraktischen Shuttle-Bus, der direkt vom Wohnheim zum Ikea-Center fuhr. Diesen Luxus habe ich in München nicht. Anstatt also meine kostbare Freizeit in einem überdimensionierten Möbelhaus zu verbringen, kaufte ich meine Gartenmöbel online (ihr erinnert euch an meine Balkongarten-Pläne). Um 7 samstags erhielt ich den Anruf vom Speditionstypen. Der sprach leider so schlecht Deutsch, dass ich zwei Minuten erst einmal gar nichts verstand. Ich war wortwörtlich noch am Schlafen. Um 8 Uhr früh dann die Lieferung. Ich war nach wie vor komplett schlaftrunken, als ich die Lieferung annahm, weshalb mir entging, dass sie nicht ganz vollständig war. Erst nachdem ich den Lieferschein unterschrieben hatte, fiel mir auf, dass zwei Packungen der Holzfliesen fehlten. Ich rief schnell den Speditionstypen an und erklärte, was das Problem war. "Service anrufen" war die lapidare Antwort. Großartig. Ich kämpfte mich tapfer durch das Menü in der Telefonschleife (merke: nicht zu monoton sprechen, sonst funktioniert die Spracherkennung nicht). Dann endlich einen Menschen erwischt. Eine Berlinerin oder Hallenserin, die sogleich eine Nachlieferung veranlasste. Und nebenbei bemerkte, dass sie mit ihrer Freundin die selben Holzfliesen für die gemeinsame Wohnung kaufen müsse. Ich freute mich, dass sie das ganz selbstverständlich sagte. Jetzt heißt es warten. Aber der Balkon wird schon gut - ein konstanter Work-in-progress.

Wochenrückblog 27.04.2015 - Der Schwesterncode, leere Schoko-Eier und Neonazis

Wieder eine Woche vorbei. Die Woche wäre zum Ende hin fast in die Hose gegangen und zeigt, welchen Einfluss Rassismus in meinem Alltag immer wieder hat. Ein Blick zurück.

1. 420
Wollte am Montag eigentlich Kiesel an der Isar sammeln gehen, um damit die Drainage-Lage meiner Balkonkästen zu machen (so hieß es in einem schlauen Buch). Habe beschlossen, das auf einen Tag zu verschieben, der nicht Hitlers Geburtstag ist. Darauf hatte mich meine Twitter-Timeline hingewiesen - an solchen Tagen sind vermehrt Leute unterwegs, denen ich unter keinen Umständen begegnen möchte. Ein kleines Beispiel, wie es sich als Person of Color in Deutschland so lebt. Mir wäre wirklich lieber, wenn wir stattdessen den Weed-Culture-Feiertag begehen würden.

2. Mehr von Model Brother
Ich hatte ja schon hier erwähnt, dass mein kleiner Bruder gelegentlich modelt. Diesen Link schickte er mir, während ich auf der Arbeit war: KLICK! Schick schick, muss ich sagen. Die Marke Prancing Leopard sagt mir nichts, Yoga mache ich nicht, aber die Sachen sehen saubequem aus. @der_welle hat auf Twitter in die Runde gefragt, ob Models sich eigentlich über die Sachen, die sie tragen (müssen), lustig machen. Eine Nachfrage bei Brüderchen ergab: Er tut das nicht, wenn etwas ganz ausgefallen ist, verdient es das Adjektiv "sick", was sowohl positiv als auch negativ bzw. ironisch negativ, also positiv zu verstehen ist. Alles klar? Ja, nee, is klar.

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3. Schokoladenhohlkörper
Laut kirchlichem Kalender ist nach wie vor österliche Festzeit (sie geht noch bis Pfingsten), also ist es völlig legitim, bis weit in den Mai hinein Ostereier zu essen. Letztens aber erlebte ich eine herbe Enttäuschung: Eines der versprochenen gefüllten Ostereier von Reber war nicht gefüllt. Und das ausgerechnet bei der Sorte "Bayrisch Creme". Allmächd, sagt die Fränkin in mir. Ich schoss ein Foto und sandte es gleich an die Firma. Die versprach mir Wiedergutmachung in kulinarischer Form. Ich werde davon berichten, wenn ich ein Unboxing machen darf.

4. Der Schwesterncode
Wie ihr wahrscheinlich wisst, schreibe ich auf Mädchenmannschaft eine quasi-monatliche Kolumne in Sachen persönlicher Feminismus-Erfahrungen. Dieses Mal beschäftige ich mich mit dem Thema weiblicher Solidarität und Unterstützung. Vielen wird von der Serie "How I Met Your Mother" der "Bro Code" vertraut sein, der sich meist nur auf Frauen abschleppen und Männerfreundschaften bezieht. Ich habe für mich festgestellt, dass es so etwas ähnliches bei Frauen gibt: Eine Art unausgesprochenes Gesetz, wie frau sich gegenseitig unterstützt. Weitere Erkenntnis: Ich sollte meine Trinkgewohnheiten überprüfen - kann ja nicht sein, dass ich mich ständig verschätze. Hier gehts zum Text.


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5. Neonazi-Alarm in Mering
Am vorgestrigen Samstag von meinen Eltern wieder nach München zurückgefahren. An sich eine unspektakuläre Heimfahrt, wenn ich nicht auf dem Bahnsteig in Mering Gegröle gehört hätte. Der Zug wurde gerade langsamer, ich sah aus den Augenwinkeln schwarze Kleidung, Bomberjacken, die einschlägigen Marken (Ionsdale), geschorene Köpfe - klassische Neonazis. In einer Gruppe. Alkoholisiert. Scheiße. Das bedeutet potenziell Ärger. Sollte ich es aussitzen? Es waren schließlich nur 15 Minuten bis München. Nein, mein Überlebenstrieb übernahm sofort das Kommando. Ich packte meine Sachen und verließ fluchtartig den Zug.
In solchen potenziellen Gefahrensituationen springt sofort mein Selbsterhaltungstrieb an, denn ich habe mir schon früh Gedanken darüber gemacht: Wenn ich bedroht werde, dann wird mir keine/r helfen. Vor allem nicht in einem vollen Zug - Bystander-Effekt und so. Bevor ich also angemacht, verprügelt (oder ermordet) werde, warte ich lieber 20 Minuten an einem zugigen, verregneten Bahnsteig in Mering.
Erst als ich ausgestiegen war und mich gesetzt hatte, merkte ich, wie schnell mein Herz schlug und dass meine Hände zitterten. Glücklicherweise hatte mich die gute Helga auf Facebook angeschrieben, die dann sogleich meine psychische Erstversorgung übernahm: Sie schickte mir das Video einer Skateboard fahrenden Katze.

Rassismus everyone. Zuhause angekommen brauchte ich erst einmal einen Drink.

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6. Nailart und Filmschauen
Der Grund, weshalb mich Helga überhaupt angeschrieben hat, war eine Meldung zu Wearable Tech in Form eines Nagelstickers. Famose Sache, denn damit kann man Tablets und allerhand anderes Gerät steuern. Noch ist es nicht ausgereift, aber ich finde es eine super Idee. Bezeichnend auch, dass eine EntwicklerIN am MIT durch Nailart inspiriert wurde. Daran sieht man wieder, dass Vielfalt zu Innovation führt.
Meine dieswöchige Nailart ist hingegen ganz analog. Mir war nach Pink, denn Pink ist perfekt, um die Stimmung zu heben. Es ist gar nicht so einfach, sich die Nägel zu lackieren, wenn man Film schaut und der Raum abgedunkelt ist. Ich behalf mich mit einer Taschenlampen-App. Das ging recht gut (wie zu sehen ist). Wir sahen übrigens Guardians of the Galaxy (jetzt auf Netflix verfügbar). Der Film war - ok. Nachdem ich zig Tumblr-Posts voller Begeisterungsstürme gelesen hatte, erwartete ich irgendwie mehr. Der Film war nett, nicht zu komplex, handwerklich solide gemacht. Aber nicht so meins. Ich habe generell nicht das Gefühl, dass ich jemals mit Superheldenfilmen warm werde. Man of Steel zum Beispiel war fürchterlich. Ja, ich habs kapiert, Superman = Jesus Christus, können wir bitte die Kreuzigungsanspielungen und den Tropos "Mann der Schmerzen" lassen?

Eine schöne kurze Woche euch allen.

Wochenrückblog 19.04.2015 - Katzencafés, Thai-Essen und kreative Outlets

Habe festgestellt, dass ich in diesem Blog zwar über mein Leben berichte (insert "wie so viele"), aber nie so "richtig" über mein Leben berichte. Der Alltag, das Unspektakuläre, das, was den Großteil unseres Lebens ausmacht, spare ich meistens aus. Die Dokumentation meines Lebens auf Instagram soll ein textliches Pendant bekommen. Deshalb und in Anlehnung an kaltmamsells Journal-Bloggen gibt es den Wochenrückblog - ein wöchentlicher Querschnitt meines Lebens zur Gedächtnisstütze und möglicherweise zur Unterhaltung. Ihr werdet sehen, dass das Leben als Asiatisch-Deutsche auch nicht so viel anders aussieht.

1. Mein Blog soll schöner werden

Ich bleibe meinem etwa jährlichen Turnus treu und suche nach einem neuen Template für meinen Blog. Festgestellt, dass es auch für Blogspot-BloggerInnen zahlreiche hübsche, ausgefallene Designs gibt. Aber bitte nicht Flat Design - das hat sich meiner Meinung nach so langsam wieder überlebt. Ich habe mich bereits für eines entschieden, muss aber noch ein bisschen im CSS herumfuhrwerken, bis ich wirklich zufrieden bin. Wie so häufig zieht das einen ganzen Rattenschwanz an Neuanpassungen nach sich: Logos müssen dann ebenfalls neu entworfen und überall eingefügt, die verschiedenen Social Networks müssen sinnvoll eingebunden werden. Demnächst also: Alles neu macht der Mai.

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2. Das Münchner Katzencafé ist etwas für großstädtische KatzenliebhaberInnen


Am Dienstag mit einer Freundin getroffen. Ich hatte vorgeschlagen, in den Katzen-Tempel zu gehen, ein Katzen-Café in der Türkenstraße. Sie war als Katzenmensch gleich Feuer und Flamme. Es ist, wie es klingt: Im gesamten Café laufen Katzen herum, die erstaunlich gut erzogen und extrem geduldig sind. Ich hätte das halbe Dutzend Kinder jedenfalls schlechter ertragen als die Katzen. Bevor sich die TierschützerInnen bei mir melden: Die Katzen haben ihren eigenen Rückzugsraum, wohin sie gehen können, wenn es ihnen zu viel wird. Sie werden ausschließlich vom Personal gefüttert - ohnehin würden ihnen die Speisen nicht schmecken, da alles vegetarisch/vegan ist.

In Japan, wo die Katzencafés ursprünglich herkommen, bucht man Zeit mit den Katzen, in der man dann Katzen streicheln darf. Das führt dazu, dass Gäste wesentlich forscher mit den Katzen umgehen - für die Tiere bedeutet das viel mehr Stress, zumal die Räume kleiner sind als in Deutschland. Den Katzen im Münchner Café geht es dagegen exzellent. Auch die Sauberkeit ist hervorragend.

Die Erdnussbutter-Schokoladentorte mit Gojibeeren ist übrigens hammermäßig. Und meine Freundin eine ausgesprochene Katzenflüsterin, sodass mir dieses Bild gelang. =3


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3. Nägel lackieren ist mein kreativer Outlet - aber anscheinend nicht ausreichend

Ja, ich lackiere nach wie vor - eine Zeitlang hatte ich keine Lust (*gasp*), dann waren meine Nägel so porös, dass ich zwangspausierte. Jetzt aber wieder - und mithilfe von japanischen Nailart-Magazinen und der grandiosen Seite www.colorlovers.com, auf der man unendlich viele Farbpaletten für verschiedene Zwecke findet, ist das auch recht einfach.
Nägel lackieren reicht mir aber wohl nicht mehr, ich ertappe mich dabei, Nähtutorials anzusehen und habe bereits unsere Loggia/unseren Balkon aufgeräumt. Gartenausstattung ist schon bestellt und kommt Anfang Mai. Hoffentlich schaffe ich es, ein Vorher/Nachher zu posten. Ich habe keinen ausgesprochenen grünen Daumen, aber sei's drum: Versuch macht klug.

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4. Thailändisch essen - drei von fünf Chilis in der Schärfeskala ist schon ziemlich scharf

Am Samstag war zunächst Frühjahrsputz angesagt. Mithilfe von Storebror die Wohnung auf Vordermann gebracht. Wieder kurz mit dem Gedanken gespielt, eine Putzfrau zu besorgen. Festgestellt, dass ich Scheu davor habe - wenn die eigene Mutter geputzt hat, fühlt man sich komisch, auf die Seite der Auftraggeberin zu wechseln. Zumindest geht es mir so. Abends ging es mit A. zum Thailänder Ratchada in der Schwanthalerstraße. Eine der tatsächlich unschönen Gegenden Münchens, nur das Deutsche Theater vermittelt Schönheit inmitten hässlicher Klötze. Das Lokal vermittelt mir das Gefühl von Vietnam: Es ist bunt (Kitsch! blinkende Schilder!! Pink!!!), es ist laut, es ist heiß (das Restaurant ist in einem Keller gelegen ohne direkte Frischluftzufuhr), es wird viel gelacht und gegessen. Die Kundschaft ist sehr Thai. Kurz: das pralle Leben. Das war vier Stunden lang lustig, aber wir gingen, als die Temperaturen eine tropische Schwüle erreichten und bevor das Karaoke losging. Im Gegensatz zu Südostasien hat München einen unschlagbaren Vorteil: Man kann hinaustreten und es ist einigermaßen kühl und still.

Das Essen war übrigens ausgezeichnet - ich hatte Tilapia in einer sehr würzigen Suppe/Soße mit Knoblauch, Limettensaft, Chinakohl und reichlich Schärfe. Laut Karte war es Schärfegrad 3 von 5 - gut scharf, aber noch gut essbar für mich. Ich schätze, dass Schärfe 4 für mich noch machbar wäre, bei 5 müsste ich wohl die Waffen strecken. Habe die Augen des Fisch gegessen und dabei an meinen Vater gedacht, der  Fischaugenessen liebt.

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Zum Nachtisch gab es Bällchen aus Klebreismehl mit süßer Kokosfüllung (vermute ich). Festgestellt, dass süße Klebreisbällchen _das_ Süßgericht schlechthin in Asien darstellt. In Vietnam gibt es sie ähnlich, allerdings mit einer süßen Mungbohnenfüllung und einem Ingwersirup oben drauf. Köstlich. Oder als frittierte Sesamkugeln. Ebenfalls köstlich. Aus Japan kennt man Mochi, die eine Füllung aus süßen roten Azuki-Bohnen. Auch köstlich. China kennt ähnliche Varianten und vermutlich viele weitere asiatische Länder mit Reis als Hauptnahrungsmittel.

Übrigens war das für mich das erste Mal in einem Thai-Lokal - ja, ich weiß. Aber meine Überlegung war immer: Warum sollte ich in ein solches Lokal gehen, wenn ich zuhause ohnehin asiatisch esse. Welch Ignoranz. Aber Thai-Essen ist ganz anders als vietnamesisches Essen: Sehr viel mehr Kokosmilch und Chili. Aber sehr empfehlenswert.

Euch allen einen guten Wochenstart.