Ramen, Bild von flickr edkohler, CC 2.0 |
Die großartige Shehadistan teilte auf Facebook folgende Schlagzeile: Kinder essen Tütensuppe wie Chips. Der Artikel von 2011 berichtet von dem Trend, dass Kinder die asiatischen Tütensuppen, auch als Ramen und unter VietnamesInnen als Mi Goi bekannt, einfach trocken aus der Verpackung knabbern. Dazu sage ich: Ach was, neuer Trend. Das gibt es schon seit ewig. Woher ich das weiß? Weil ich den Trend mitbegründete, zwar im lokalen Rahmen beschränkt, aber immerhin. Damals in der Grundschule, in der zweiten Klasse, also vor (hust) zwanzig Jahren, vertickte ich das Zeug auf dem Schulhof unter der Hand. Es war ein florierendes Business, bis ich aufgrund eines "Vorfalls" aus dem Geschäft für immer ausstieg.
Das organisierte Tütensuppen-Dealen fing damit an, dass meine Mutter im Krankenhaus lag und mein Vater für unsere Schulverpflegung sorgen musste. Der Einfachkeit halber (und weil er überfordert war) gab er meinem älteren Bruder und mir je eines dieser Suppenpäckchen mit dem Namen "Yumyum" mit. Auf dem Schulhof waren wir damit die Stars - so etwas hatten die anderen noch nie zuvor gesehen: Ein knallbuntes, eckiges Päckchen, darin ein quadratisches Bündel an rotgoldenen Lockennudeln. Damals gab es diese Salz- und Glutamatbombe noch nicht allgemein im Supermarkt um die Ecke zu kaufen, was die Sache umso interessanter machte. Nachdem die InteressentInnen probieren durften, wollten sie: mehr. MEHR. MEHR!!!
Mutter, wieder genesen und zu Hause, hörte davon und erkannte sogleich das Potenzial dieser Nachfrage. Ihr Geschäftssinn sah sofort einen Markt für Yumyum. Also ließ sie uns bei den KlassenkameradInnen nachfragen, wer gerne Tütchensuppe haben wollte. Schnell hatten wir ein Dutzend Bestellungen zusammen und wir schleppten von nun an die Nudeln in unseren Schultaschen mit, um sie dann während der großen Pause zu verticken. Die Gewinnmarge war prächtig: Zu Hoch-Zeiten verkauften wir jedes Päckchen für eine Mark, für FreundInnen des Hauses gab es die Päckchen auch mal für 50 oder 70 Pfennig.
Da wir die einzigen AsiatInnen mit Zugang zum Yumyum-Markt hatten (einen Asia-Markt gab es nicht), besaßen wir das äußerst bequeme Monopol. Mutter zog als Mastermind im Hintergrund die Fäden und versorgte uns mit dem notwendigen Stoff. Unter den SchülerInnen sprach sich herum, dass ein neues und aufregendes Zeug zu haben war: salzig, knusprig, verdammt ungesund. Sehr bereitwillig gaben sie uns dafür ihr Taschengeld, andere bezahlten uns in Naturalien: Zwei Räuber-Hotzenplotz-Kassetten gegen vier Päckchen Yumyum war ein prächtiges Tauschgeschäft.
Wie das so ist mit illegal besorgtem Stoff: Das Zeug birgt Gefahren. Nicht nur, dass dieses Zeug ein Fertigprodukt der fiesesten Sorte mit extra viel Kohlenhydraten, Fett, Salz und Geschmacksverstärkern war: Neben den Nudeln und der Suppenbrühe in Pulverform befand sich darin noch ein winziges Tütchen Chilipulver, das für deutsche Kindermägen absolut nicht geeignet war. Wir schärften (haha) unseren KundInnen deshalb ein, dieses Beutelchen auf keinen Fall zu konsumieren.
Nun gibt es immer Leute, die keinerlei Respekt vor Warnhinweisen haben, und so passierte es, dass eines Tages jemand als Mutprobe oder einfach aus Dummheit sich das Chilitütchen in den Rachen schüttete. Weder ich noch mein Bruder hatten an ihn verkauft, also musste ihm jemand als Zwischenhändler Zugang dazu verschafft haben. Nach der großen Pause an jenem besagten Tag klopfte es an der Klassenzimmertür. Meine Klassleiterin machte auf, dahinter stand eine besorgte Lehrerin und ein sehr blasser Junge, der sich vor Schmerzen den Bauch hielt. Sie erklärte meiner Lehrerin, dass der Junge etwas Falsches gegessen und sich während der Deutschstunde ins Waschbecken übergeben hatte. (Man erzählte mir später, dass der gesamte Klassenraum danach gestunken hätte). Der Junge und seine MitschülerInnen nannten mich schnell als Quelle für das Malheur.
Meiner Lehrerin war ich bisher allenfalls als brave, ruhige und fleißige Schülerin aufgefallen, weshalb sie mich ungläubig mit großen kugelrunden Augen anschaute. Was das denn gewesen sei? Noch ehe ich antworten konnte, erklärten meine MitschülerInnen sehr schnell und bereitwillig, dass ich auf dem Schulhof Yumyum verkaufte, eine trockene Tütensuppe zum Knabbern. So schnell wurde ich noch nie verraten, danke. Die großen Augen meiner Lehrerin wurden noch größer.
Meine Verteidigung fiel schwach aus: Ich gab den Handel zu, erklärte aber auch, dass ich den Leuten immer sagte, nicht das Chilipulver zu essen, und dass ich somit keine Schuld an der Malaise des Schülers hatte. Der Erkrankte wurde nach Hause geschickt, ich blieb von den Behörden unbehelligt, damit war die Sache gegessen (haha). Die Geschichte verbreitete sich schnell als Folklore in der Schule, was uns noch einmal mehr Nachfrage von der Mutprobenfraktion bescherte. Doch genug war genug: Hier und da eine schnelle Mark zu machen, war das eine, aber ich musste die Grenze ziehen, wo Menschen verletzt wurden. Bald darauf erklärten mein Bruder und ich unserer Mutter unseren sofortigen Ausstieg aus dem Yumyum-Business.
Da meine Mutter immer noch meine Mutter war und nicht ein Mafiamob-Boss, nickte sie nur. Insgeheim glaube ich aber doch, ein gewisses Bedauern bei ihr zu bemerken. Schließlich wollte sie immer, dass wir geschäftstüchtige Menschen würden. Aber ich bin eher nicht die Sales-Persönlichkeit.
Damit endete meine Karriere als Dealerin auf dem Schulhof. Ich habe seither nie wieder mit Yumyum gehandelt und bin wieder ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft.