Sprichst du eigentlich Vietnamesisch?
Viele Menschen stellen mir irgendwann die Frage
Sprichst du eigentlich Vietnamesisch?
Der Einfachheit halber bejahe ich dies meistens. Aber so einfach ist es nicht. Lasst es mich einmal erklären.
Ich wurde hier in Deutschland geboren als Tochter von vietnamesischen Eltern. Ich wuchs die ersten Jahre fast rein vietnamesisch auf - meine Familie hatte zwar Kontakt zu den Deutschen, aber für mich als Kind hielt sich das in Grenzen. Erst zum Eintritt im Kindergarten änderte sich das grundlegend. Storebror, der mir altersmäßig ein wenig voraus ist, brachte mir sicherlich einiges an Deutsch bei. Auch die gute alte Glotze tat ihren Teil. Für uns war Deutsch zu Hause immer auch ein wenig Geheimsprache, wenn wir etwas vor unseren Eltern zu verbergen hatten. Ab einem bestimmten Sprechtempo konnten sie unserem Deutsch nicht mehr folgen. Ziemlich komfortabel.
Storebror, Patin Schwester Anneliese, Schwesterherz im Taufkleid, ich* |
Je älter ich wurde, desto mehr Kontakt hatte ich zu "den Deutschen". Mein Freundeskreis ist weitgehend deutsch und weiß - das wurde mit dem Übertritt ins Gymnasium noch verstärkt. Die Kinder und Jugendlichen mit sogenanntem Migrationshintergrund sowie PoC (People of Colour) sehr selten. AsiatInnen oder VietnamesInnen gab es kaum.
Das Aufwachsen in der deutschen Umgebung hat natürlich seine Spuren hinterlassen - ich spreche, denke und träume inzwischen fast ausschließlich auf Deutsch. Nur selten mischt sich Vietnamesisch hinein. Meine Kenntnisse meiner Muttersprache sind mit den Jahren und Jahrzehnten geschrumpft auf einen Rest Küchen- und Haushaltvietnamesisch. Genug, um den Alltag zu bestreiten und mit Verwandten zu sprechen, aber bei weitem nicht ausreichend, über fortgeschrittene Themen wie Politik, Kultur oder Gesellschaft zu sprechen. Oder gar Feminismus. (Gott, was heißt Feminismus auf Vietnamesisch?)
Aber es kommt noch schlimmer: Meine Eltern stammen aus der Gegend um Hue und sprechen einen Dialekt, der auch in Vietnam als rückständig und seltsam angesehen wird und den die wenigsten überhaupt auf Anhieb verstehen. Man kann es sich so vorstellen, wie wenn ich aus einem niederbayerischen Dorf kommen würde und versuchen würde, in Hamburg etwas zu essen zu bestellen - die VietnamesInnen erkennen, dass ich ihre Sprache spreche, verstehen mich aber schlecht. Umgekehrt wiederum begreife ich, was die anderen mir sagen wollen. Ihr seht, wo das Problem liegt.
Weil innerhalb der Familie und Verwandtschaft fast alle diesen Dialket sprachen, haben es meine Eltern versäumt, uns einen gängigeren Dialekt bzw. das Standardvietnamesische beizubringen. Der Einfachheit halber spreche ich deshalb auch mit anderen Deutsch-VietnamesInnen Deutsch. Das ist zwar schade, aber man kann im Leben nicht alles haben. Im Leben verliert man Dinge und gewinnt dafür andere Dinge. Sollte also wieder jemand fragen
Sprichst du eigentlich Vietnamesisch?
werde ich mit einem grundsoliden, absolut eindeutigen "Jein" antworten.
*mein verklärter Gesichtsausdruck kam dadurch zustande, dass ich betrunken war. Zu viel von Papas Bier genippt.
Lieber "Hinterwäldler-Vietnamesisch" als gar keines, immerhin erhält man ja so auch in gewissem Maße ein Kulturgut und ich kann es zum Beispiel nicht nachvollziehen, wenn es Leute gibt, die mit der Kultur (deren Bestandteil Sprache ja ist) des Herkunftslandes des Elternteils/der Elternteile nichts zu tun haben wollen. Insofern finde ich es sehr gut! :)
AntwortenLöschenIch kann die Leute schon verstehen, die diesen "fremden" Teil an/in sich ablehnen. Es ist nicht einfach, mit diesen Dingen konstruktiv umzugehen.
Löschen