...das deutsche Vaterland.

Es muss in einem jener Sommer gewesen sein, als ein wichtiges internationales Fußballturnier stattfand. Ich hatte mich von KommilitonInnen breitschlagen lassen und wohnte einer öffentlichen Übertragung eines Länderspiels auf Großleinwand bei. Ich erinnere mich nicht mehr genau an die Paarung - auf jeden Fall spielte Deutschland.

Es war ein recht warmer Tag und alle waren in vorfreudiger glücklicher, leicht bierseliger Stimmung. Die Deutschlandfahnen wehten, die Würstchen grillten und alles war erfüllt von Gesprächen und Lachen. Das Spiel begann, die Spieler liefen ein und stellten sich auf. Es folgte die Nationalhymne. Als die ersten feierlichen Töne von "Einigkeit und Recht und Freiheit" ertönten, kam ein kurzer Moment der Ratlosigkeit im Publikum. Spätestens bei "danach lasst uns alle streben" aber standen die meisten auf und sangen ein wenig zögerlich mit. Ich blieb sitzen und fühlte mich etwas unwohl. Die allgemeine Unsicherheit ob dieser patriotischen Demonstration war fast greifbar.

Heimatgefühle

Deutschland und Patriotismus oder, in abgemilderter Form, positive Heimatgefühle - ein heikles Thema. Ich möchte nicht auf der Vergangenheit herumreiten, aber die Verbrechen, an denen eine gesamte Gesellschaft beteiligt war - was soll man dazu sagen, wenn jede/r seine Pflicht tut in einem absolut kranken System?

Patriotismus stützt sich immer auch auf einen goldverbrämten Blick auf die Vergangenheit, auf den Stolz der Leistungen eines wie auch immer gestalteten Volkes - das geht schlecht, wenn die letzten "Leistungen" darin bestanden, möglichst effizient Juden/Jüdinnen, Homosexuelle, Dissidenten, Menschen mit Behinderung oder Roma umzubringen.

symptomatisch für Deutschland - Merkels "kein-Firlefanz"-Ansatz

Die Deutschen schrecken daher verständlicherweise davor zurück, stolz auf sich zu sein oder ein positives Gefühl ihrer Herkunft gegenüber zu haben. Das ist noch verständlicher, wenn der Papa oder der Opa bei der Waffen-SS war und auf dem Speicher noch ein Exemplar von "Mein Kampf" liegt. Alles allzu Deutsche abzulehnen wird dann zur Frage der moralischen Integrität. Für seine Herkunft als Deutsche/r hatte man sich zu schämen, Punkt.

Stolz auf die eigene Herkunft

Ich wuchs also mit dem Gedanken im Hinterkopf auf, dass man nicht stolz auf seine Herkunft sein kann. Ich habe mich also geschämt wegen meiner Herkunft, wie die Deutschen auch. Ich konnte so auch nie von mir sagen, dass ich Deutsche bin, denn: Wenn die Deutschen schon nicht deutsch sein wollten, wie konnte ich mir dieses Recht herausnehmen? Vor allem, da ich anders aussah, einen fremden Namen trug? Deutsch-Sein, so signalisierte man mir, ist keine Freude, sondern eine Bürde.

Die eigene Herkunft positiv sehen scheint für viele Deutsche ein Tabu. Diese Perspektive hinderte mich aber auch daran, Stolz auf meine vietnamesischen Wurzeln zu empfinden.Wenn die große Mehrheit das Thema so tabuisiert, wie können Menschen mit Migrationshintergrund in ihrer Gegenwart stolz auf ihre Wurzeln sein? Jede Demonstration von kulturellen Eigenheiten wird dann schnell zum Affront nach dem Motto: "Warum soll diese Minderheit auf ihre Herkunft feiern (Wenn wir als Mehrheit das nicht mal dürfen)? Können die sich nicht integrieren und ihre Herkunft verdrängen, so wie wir auch?"

Naekubi - fröhlich Fahne schwenkend?

Dem Fußball ist möglicherweise zu verdanken, dass sich das Verhältnis Deutschlands zu seiner Flagge und seiner nationalen Identität allmählich normalisiert; positive Heimatgefühle brauchen nicht mit der Vernichtung Herabsetzung anderer Nationen einhergehen. Zumindest würde ich es allen wünschen, dass wir alle unsere Wurzeln mit etwas mehr Wohlwollen betrachten können. Und dann können wir uns eine Ebene weiterbewegen und zu echten WeltbürgerInnen werden.

Dennoch wird es wohl niemals passieren, dass man mich mit einer Deutschlandfahne sieht, weil - nun ja...


Weil ich in der Hinsicht einfach sehr deutsch bin.

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CONVERSATION

7 Kommentar/e:

  1. Schöner Beitrag. Nur bei diesem "Verbrechen, an dem die ganze Gesellschaft beteiligt war" würde ich als Geschichtsstudentin einhaken. Diese Vorstellung ist spätestens seit "Hitlers willige Helfer" sehr verbreitet, wird aber von den meisten Historikern in dieser Verabsolutierung abgelehnt (ebenso wie das allzu sehr populärwissenschaftliche Buch). Wer das nicht glaubt, kann ja mal Hans-Jürgen Massaquois Biographie lesen - der hatte nun wirklich kein Grund, irgendwas schön zu reden.

    Ich sehe nichts schlimmes dabei, bei Fußballspielen etc. auch mal eine Fahne zu schwenken und die Nationalhymne mitzusingen. In solchen Momenten feiert man mMn nicht den real existierenden Staat, sondern eine Idealform, die angestrebt wird.
    Und auch wenn die Verbrechen des NS-Staates niemals vergessen werden dürfen... sollte man auch positive Ereignisse wie den Mauerfall nicht ausklammern. Den meisten Menschen (gerade Jüngeren wie uns, die den Kalten Krieg selbst nicht mehr bewusst erlebt haben) scheint gar nicht klar, wie unglaublich außergewöhnlich ein solches Ereignis war, das ohne jedes Blutvergießen vonstatten gegangen ist. Es ist eigentlich ein verdammtes Wunder, das mich jedes Mal zu Tränen rührt.
    Menschen können Monster sein. Aber es gibt auch gute Momente. Das kann man auch ruhig mal feiern. Der Mauerfall war kein Triumph für Deutschland, sondern ein Triumph der Menschlichkeit.

    Und wie man sieht, lässt der Tag mich immer rührselig werden :D

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    1. Danke für deinen Kommentar! Ich muss gestehen, dass ich keine absolute Expertin in der Geschichte bin. Mit der Beteiligung einer gesamten Gesellschaft möchte ich nicht sagen, dass damals alle rausgegangen sind und Juden erschossen haben. Aber ich finde es doch bezeichnend, wenn von einem Staatsapparat mit bürokratischer Kaltblütigkeit Menschen ermordet wurden und so wenige sich dem entgegen gestellt haben. Dass sich so wenige dafür interessiert haben, was passiert ist.

      Ich denke nicht, dass die Menschen damals Hitler willig oder willentlich geholfen haben, aber sie waren passiv und angepasst. Sollte es nicht meine Pflicht als Mensch sein, gegen ein unmenschliches System zu protestieren? Ich weiß auch nicht, ob ich mein eigenes Leben für das eines bedrohten Menschen eingesetzt hätte. Oder ob ich es jetzt tun könnte.

      Dass "die Deutschen" einfach etwas freundlicher mit ihren eigenen Wurzeln umgehen sollen, ist mein versteckter Hinweis darauf, dass die Menschen in diesem Land auch tolle Sachen zustande bringen, auf die sie stolz sein können.

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    2. @ naekubi

      Das Hitler nicht die Sternstunde des deutschen Volkes war ist klar, aber wie ist es dazu gekommen?

      Da wird auch immer viel um den heissen Brei herumgeredet.

      Wusstest du das Deutschland nach dem ersten Weltkrieg das ärmste Land in Europa war, wo die Kindersterblichkeit am höchsten war, die Selbstmordrate usw.

      Ich hatte noch eine Uroma die diese Zeit kannte. Es war eben eien krasse Zeit die krasse Lösungen brauchte.

      Und dann kam jemand wie Hitler, und schwupps ging es wieder bergauf. Den Leuten ging es zwar nicht so gut wie heute, aber niemand ist mehr verhungert, der Versailler "Vertrag" wurde revidiert.

      Dardurch hatte Hitler, nicht ganz zu unrecht, ein hohes Ansehen erhalten, im Gegensatz zu den Politikern des demokratischen Weimarer Systems.

      Kein Wunder das die Leute sich damals an Hitler geklammert haben, selbst als der 2. Weltkrieg schon verloren war.

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  2. Armer (armes?) Germany von SATW, ich finde diesen bestimmten Comic aber auch sehr treffend. Und ich finde immer, dass sich Germany darin wie Bruce Banner verhält.
    "Don't make me angry. You wouldn't like me when I'm angry!" wird zu
    "Don't make me proud. You wouldn't like me when I'm proud!"
    Mit der gleichen Angst vor dem Hulk, dessen was jederzeit wieder geschehen kann, was in der Vergangenheit für so viel Zerstörung und Leid gesorgt hat. Ehrlich, ich mag dieses Bild sehr.

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    1. Du sprichst einen wichtigen Punkt an. Ich denke, wenn Deutschland sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzen und nicht sofort verdrängen würde, dann wäre allen geholfen. Gefühle, die man ignoriert, tauchen dann unerwartet und zehn Mal stärker in einer destruktiven Art und Weise auf. Das wäre dann der von dir angesprochene Hulk-Effekt.

      In Deutschland "darf" niemand stolz sein und Flagge zeigen? Dann erledigen das die Nazis für euch, aber dann richtig zerstörerisch. Und die Mehrheitsgesellschaft kann dann mit Entsetzen auf diese zeigen.

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  3. " Die Deutschen schrecken daher verständlicherweise davor zurück"

    Naja man soll auch nicht die Medien oder kleine Gruppen als Maßstab nehmen, unabhängig von diesen sind die Deutschen doch recht patriotisch, aber nur wenn es darauf ankommt. Und Fußball gehört eher nicht dazu, ich denke eher an die Flutkatstrophe wo wir uns gegenseitg geholfen haben ohne das es hier zu Plünderungen kam.

    Siehe Katrina in den USA, das komplette Gegenteil.

    Die Belgier haben kurz vor dem ersten Weltkrieg mehr als 10 Millionen! Schwarze ermordet, und deswegen fühlen sich jetzt auch kein Belgier schlecht.

    Da wird auch viel von Außen reingebracht, aber das ist nicht Deutschland. Das sind bestimmte Interessengruppen die für ein schlechtes Gewissen sorgen, denn es geht hier auch um eine Menge Geld.

    Alles nicht so heiss wie es gekocht wird. Der 2. Weltkrieg ist zum Glück schon über 3. Generationen her, kaum noch jemand der diese Zeit bewusst erlebt hat. Und es gibt keien Sippenhaftung.

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    1. Guten Abend, ich bin sehr spät auf diesen Beitrag aufmerksam geworden. Ich möchte der Autorin jedoch gerne beipflichten. Ich habe auch sehr mit mir gerungen wie ich meiner Herkunft umgehen soll, ich lehne Deutschlandfahnen und ähnliches Gebimmel bis heute ab, es mag sein das die Verbrechen mittlerweile ein paar Generationen her sind.. aber wie schon Deniz Yücel sagte: "Andere Leute haben die Bastille gestürmt oder die Demokratie erfunden, wir haben die Juden umgebracht". Mich mit Deutschland zu identifizieren bedeutet auch immer mich mit Hartz 4 zu identifizieren, mit der Asylpolitik, der Geschichte und eben nicht nur mit dem Sport. Wer weiß schon so genau was sein Opa an der Ostfront gemacht hat und ob Oma wirklich koscher war...

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