Über Obama, das N-Wort und Afro-Klischees. Ein Gespräch.
Man mag von Sozialen Netzwerken halten, was man will, fest steht: Sie sind unheimlich praktisch. Früher galt noch der Satz: Aus den Augen, aus dem Sinn. Es war viel schwerer, mit Menschen Kontakt zu halten, wenn sie einmal weggezogen waren oder man ihre Adresse verlegt hat.
So ging es mir auch mit - nennen wir ihn nutella (auf eigenen Wunsch). Wir kannten uns aus dem Ministrantendienst, er war etliche Jahre jünger als ich. Der Kontakt war daher freundlich, aber nicht eng. Man kannte sich.
Irgendwann verloren wir uns gänzlich aus den Augen. Ich verließ meine Heimatstadt, ging studieren, ging ins Ausland, kam nach München. Aber wir haben uns irgendwann wieder entdeckt - über Facebook. Wir entdeckten uns in Freundeslisten. Bald wurden wir direkte Facebook-Freunde.
Irgendwann entdeckte nutella auch meinen Blog, den ich auf meinem Profil verlinkt hatte. Laut seiner eigenen Aussage hat er ihn von vorne bis hinten ganz gelesen (danke hierfür!). Wir fingen an, uns über ernsthafte Themen auszutauschen, über ähnliche Erfahrungen, über Klischees und Rassismus. Denn er ist das, was manche Leute als "Afro-Deutsch" bezeichnen. So sprachen wir letztens per Skype - über Rassismus, das N-Wort und Afro-Klischees.
naekubi: Ich habe erst gerade eben gemerkt, dass heute ja ein besonderer Tag ist - nämlich die Amtseinführung von Obama. Hat das für dich persönlich eigtentlich eine Bedeutung?
nutella: Nein, ich hatte eben eine Diskussion mit einem Amerikaner über Kultur geführt und dabei gemerkt, wie wenig amerikanisch ich bin. Wobei Obama für mich auch kein Schwarzer ist.
naekubi: ...Er ist ja halb weiß und halb schwarz, aber die Leute sehen ihn nur als schwarz.
nutella: Ja, aber anders als ich zum Beispiel.
naekubi: Inwiefern?
nutella: Es macht einen Unterschied, ob ein "Mulatte" halb Afrikaner und halb weiß oder halb Afro-Amerikaner und halb weiß ist, für mich zumindest. Und ich meine mich zu erinnern, dass es auch Afroamerikaner gibt, die das so sehen. Obama hat einfach nicht den typischen afro-amerikanischen Background. Obwohl er es wahrscheinlich noch am ehesten ist (lacht).
naekubi: Gerade kulturell wird es große Unterschiede geben, ob jemand Afro-Amerikaner oder Amerikaner mit afrikanischen Wurzeln ist
nutella: Vollkommen richtig.
naekubi: Möglicherweise, scheint er sich selbst auch eher als Afro-Amerikaner einzuordnen
nutella: Ja, in gewisserweise schon.
naekubi: Was ja derzeit auch durch die ganzen Medien geistert ist die Debatte um das N-Wort in Kinderbüchern.
nutella: Das ist an mir etwas vorübergegangen, bis ich deinen Post auf Facebook gelesen habe.
naekubi: Hast du diese Bücher selbst als Kind gelesen oder vorgelesen bekommen?
nutella: Vorgelesen bekommen auf jeden Fall nicht, zumindest nicht, dass ich mich erinnern könnte.
Einen ganz konkreten Fall an den ich mich erinnern kann ist "Tomy Sawyer und Huckleberry Finn" - ein gutes Buch. Das habe ich so im Alter von 10 Jahren gelesen. Rückblickend würde ich aber sagen, dass der Begriff des Negers
in dem Buch nicht abwertend, sondern schlicht und ergreifend
dokumentarisch gemeint war.
naekubi: Hatte das einen Einfluss darauf, wie du dich selbst gesehen hast?
nutella: Nein, das Buch war einfach spannend, was anderes.
naekubi: Wie würdest du das heute sehen? in heutigen auflagen von negern zu sprechen, was hältst du davon?
nutella: Das kommt ganz auf das Buch an. Würde es in Deutschland spielen, würde ich es wahrscheinlich für inadäquat halten.Wäre der Handlungsort in einem Ghetto in der Bronx wäre es wieder anders. Die Frage ist ja, in welchem Kontext das Wort "Neger" verwendet wird. Und viele Leute, die ich kenne, neigen zu einer deskriptiven Anwendung.
naekubi: Also fühlst du dich persönlich nicht davon beleidigt, wenn der Begriff mal fällt?
nutella: Beleidigend war es für mich auch lange Zeit. Ich erinnere mich daran, wie ich in einem Kaufhaus in meiner Heimatstadt rumgelaufen bin, als ein Kind meinte: "Schau mal Mama, da ist ein Neger." Ich kam mir vor wir ein Gorilla im Zoo und der Mutter war das ordentlich peinlich.
naekubi: Wie hat diese Mutter dann reagiert?
nutella: Sie ist weggegangen.
naekubi: Also keine Entschuldigung, keine Zurechtweisung des Kindes, nichts?
nutella: Nein. Wenn mich Leute im Bus ansehen, dann neigte ich auch bis vor kurzem dazu, das auf meine Hautfarbe zu schieben. Aber sowas kann auch eine "Self-fulfilling-prophecy" sein: Ich schau doof, in stiller Erwartung einer Beleidigung, die Leute schauen doof zurück.
naekubi: Wie es in den wald hineinschallt...
nutella: Um wieder zurückzukommen: Jetzt nehme ich den Begriff des "Negers" nicht mehr so persönlich wie früher, auch wenn ich nicht nachvollziehen kann, weswegen man sich genötigt fühlt, einen Menschen über seine Hautfarbe zu definieren.Sollte es aber wiederholt vorkommen, kann ich ausgesprochen unangenehm werden.
nutella: Den Refrain konnte ich schneller auswendig als mir lieb war, weil er recht häufig in meiner Anwesenheit gesungen wurde. Aber ich glaube, in dem Track steckt auch eine ganze Portion Ironie.
naekubi: Wahrscheinlich, aber der Song wurde quasi gegen dich verwendet - das ist ja das Blöde an Ironie, dass man die nicht unbedingt verstehen muss und dann das einfach wörtlich nimmt.
nutella: Es ist leichter jemanden mit dem Wort "Neger" zu beleidigen, je mehr er sich mit seiner Hautfarbe identifiziert.
naekubi: Also ist deine Strategie, dich nicht so stark über deine Hautfarbe zu definieren?
nutella: Ja, durchaus. Aber ich habe selbst lange nicht begriffen, warum ein "Mulatte" wie B-Tight sowas rappt, bis ich eben auf die Ironie gekommen bin. Das ist weniger explizite Strategie als Gewohnheit.
naekubi: Inwiefern?
nutella: Ich musste gar keine Strategie fahren; es war mein Umfeld, das mich in diese oder jene Rolle gepusht hat. Ich habe dir ja bereits erzählt, dass ich daheim immer "der Schwarze" war, manchmal auch der Neger. An meinem Studienort scheren sich die Leute recht wenig um meine Hautfarbe und fragen allenfalls, welche Wurzeln habe; eine Frage, die durchaus legitim ist. Mich interessiert das auch bei anderen sehr.
naekubi: Wie fühlt sich das für dich im Vergleich zur Situation daheim an?
nutella: Nicht richtig. Ich bin ein bisschen in der Schwebe, das ist eine äußerst ungute Situation. Denn das, was sich hier andeutet, ist in Amerika extremer: Da hab ich mit beiden Ethnien - Schwarz und Weiß - Probleme. Das ist vielleicht mein größtes Problem: mich nicht als vollwertig deutsch anerkennen zu können obwohl ich es bin.
naekubi: Wie definierst du "deutsch" für dich?
nutella: Nicht-Schwarz. (lacht) Nein im Ernst, es ist eine kulturelle Sache für mich. Meine Mutter ist ja weiß und sie hat mir erzählt, dass sich Leute ganz anders über "Menschen mit Migrationshintergrund" (für die Formulierung gehört sich jemand abgesetzt) bzw. "Ausländer" unterhalten, wenn nur sie dabei ist oder eben auch ich. Sie war es, die mir als erstes klargemacht hat, dass sie es nicht unbedingt böse meinen.
naekubi: Du hast also auch Verständnis dafür?
nutella: Naja, sie wissen es halt einfach nicht besser. Seit ich studiere ist mir auch klar geworden, dass unsere globale Gesellschaft weiß Gott noch nicht so modern ist, wie sie sich wähnt. Und es sind Überbleibsel aus der Vergangenheit, das wollte ich eben mit meiner Aussage auch schon andeuten.
naekubi: Siehst du es für dich persönlich als Aufgabe an, Leute darüber aufzuklären?
nutella: Nein, das ist mir zu blöd geworden. Dafür könnte man wahrscheinlich eine eigene Mission aufbauen. Außer die betreffende Person ist hartnäckig dumm, dann sag ich da schon was.
naekubi: Was mich als Kind immer genervt hat, waren diese blöden Klischees: "Mach mal Kung-Fu!" Gab es die bei dir auch?
nutella: (lacht) Klischees sind toll. Man kann sehr schöne Witze machen! Eines schönen Tages stand ich im Zenit meiner Schlagfertigkeit, als ich gefragt wurde, ob es denn stimme, dass Neger wirklich einen langen Schwanz haben. Woraufhin ich fragte: "Warum meinst du, dusche ich in der Badewanne und nicht in einer Duschkabine?" Also ja, diese Klischees gibt es, genauso wie jenes, dass Neger schneller und ausdauernder laufen könnten. Das hat mich in Sport aber stets motiviert. I had to keep up, sozusagen.
naekubi: Stimmt das bei dir denn?
nutella: Nein. Leider nicht, aber das liegt mitunter an meiner Lethargie.
naekubi: Ich war auch nie gut - außer in Basketball, was für Asiaten ja angeblich untypisch sei
nutella: Dafür hielten die Leute meine Englischkenntnisse für selbstredend. Wobei ich nie wirklich Englisch mit einem Muttersprachler gesprochen habe; über einen längeren Zeitraum als eine Stunde zumindest. Ich hatte diesbezüglich einfach ein gutes Sprachgefühl und eine Mutter, von der ich es wahrscheinlich habe. Das schlimme an Klischees - vor allem dem ersten, das ja auch ein wenig in die Richtung "Asiatin" im Bett geht - ist, dass mich selbst interessieren würde, ob sie stimmen. Mir fehlt aber der Vergleich...
naekubi: Gibt es noch etwas, was du den Leserinnen und Lesern des Blogs auf den Weg geben möchtest?
nutella: Puh, nein. Ich glaube, die grundlegende Tendenz meiner Ansichten ist aus dem Gesagten ersichtlich (lacht)
naekubi: Ok. Dann danke nochmal für deine Zeit!
Soziale Medien können verbinden - man muss sie nur zu nutzen wissen. Vielen Dank noch einmal an nutella, dass er sich für das Gespräch und die Veröffentlichung bereit erklärt hat. :)
Danke für den Artikel! Finde es gut, wie Dein Bekannter mit den Klischees umgeht. Denn oft sind sie nicht rassistisch gemeint. Mein erster Gedanke, als ich meinen Freund zum ersten Mal auf einer Party gesehen habe war auch: "Aha, und da ist der obligatorische Quotenasiate...". In unserer Weissbrotkultur fallen Menschen, die nicht ins Schema passen, einfach auf, und das Schubladendenken ist nichts anderes als eine natürliche Reaktion des Menschen. Es geht dann eher darum, wie damit umgegangen wird. Ich bin dann nicht zu meinem (damals noch nicht) Freund hin und habe gesagt: "Na Quotenasiate, kommst Du aus China?" Klar, das ist überspitzt, aber der "Chinesenspruch" kommt bei meinem Freund ziemlich oft. Mittlerweile kann er auch drüber stehen, aber ich denke, in seiner Kindheit in einem schweizer Dörfchen hatten er und seine Schwestern es nicht immer einfach. Seine Schwestern versuchen übrigens heute noch, ihre asiatische Seite zu verleugnen. Sie denken, dass sie allgemein nur auf ihr asiatisches Aussehen reduziert werden. Aber wie Dein Freund schreibt: Self-fulfilling prophecy, ich glaube, indem sie dermassen versuchen, von ihrer asiatischen Seite abzulenken, weisen sie die anderen umso mehr darauf hin.
AntwortenLöschenEs ist individuell sehr verschieden, wie man mit so etwas umgeht. Früher war ich auch eher so, dass ich das ignoriert habe und freundlich geantwortet habe, selbst wenn ich wegen der Distanzlosigkeit und Dummheit der Leute am liebsten gekotzt hätte. Von daher ist es für mich ein großer Fortschritt, wenn ich heute den Mund aufmache und mich gegen die schlimmsten Auswüchse von Dummheit wehre.
LöschenEin toller Artikel, danke dafür.
AntwortenLöschenMich interessiert, inwiefern du Klischees und Alltagsrassismus unterscheidest. Unwissenheit oder wie oben formuliert Dummheit nehmen ja doch oft drastische Ausmaße an oder schlagen doch manchmal ins böswillige über. Ich krieg meine Gedanken gerade nicht so richtig formuliert, ich hoffe du kannst trotzdem was mit meiner Frage anfangen.
Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Klischees bilden sich ja aus mangelndem Wissen oder Halbwissen - sie bieten einfache Modelle, um die komplexe Welt zu ordnen und zu verstehen. Wo man die Grenze zwischen "unschuldigem Unwissen" und "böswilligem Rassismus" zieht, ist sehr unterschiedlich.
LöschenMan könnte es vielleicht so formulieren: Stellen wir uns vor, jemand steigt mir versehentlich auf die Füße. Ich sage, er/sie soll da runter gehen. Er entschuldigt sich, sagt, es war ein Versehen. Fertig. Das wären für mich die Klischees.
Stellen wir uns nun vor, jemand steigt mir mit vollem Bewusstsein auf die Zehen, um mir einfach mal schön wehzutun. Das wäre für mich rassistische Kackscheiße, echter Hass.
Stellen wir uns nun vor, jemand steigt mir versehentlich auf die Zehen und ich weise ihn/sie darauf hin. Er/sie beginnt nun, sich zu verteidigen, sagt, das war gar nicht so gemeint, ich liege falsch, er/sie wollte mich gar nicht verletzen. Und gleichzeitig nimmt er/sie seinen verdammten Fuß nicht von meinen Zehen. Das ist für mich Alltagsrassismus, wie er sich in der Kinderbuch-Debatte widerspiegelt.
Ich hoffe, dass das ein bisschen hilfreich ist *amkopfkratz*
Liebe naekubi,
AntwortenLöschendas ist jetzt zwar off-topic, aber es beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Folgendes: man hat mein Aussehen wegen meiner ostasiatischen Herkunft als exotisch bezeichnet. Das wollte ich nicht einfach so hinnehmen und daraufhin ist eine hitzige Diskussion um den Begriff "exotisch" entbrannt. Ich frage mich nun, ob es heutzutage noch angemessen ist das Aussehen anderer so zu bezeichnen. Ist das denn nicht obsolet? Ich meine, wir leben heutzutage in einer mehr oder weniger multikulturellen Gesellschaft, oder nicht? Ich habe im Internet leider keine brauchbaren Informationen gefunden, weshalb ich mich nun an dich wende.
Lg
Ich finde es schon etwas komisch, eine Person als exotisch zu bezeichnen. Ich finde, das klingt, als würde man die Person von sich weg schieben wollen, also verbal. Eine Art Distanzierung und Objektivierung.
LöschenIch weiß nicht mit wem du die Diskussion hattest, aber wenn du ausdrückst, dass die das Wort nicht gefällt, sollten die Leute das gefälligst hinnehmen und nicht dran rum reden.
Ich finde es nicht schön, wenn Menschen auf ihr Äußeres und/oder die Herkunft reduziert werden. Und dieses "exotisch" finde ich ziemlich reduzierend.
Die Diskussion hatte ich mit meinen Studienkollegen. Aber sie haben behauptet, dass es positiv gemeint war mit der Begründung, dass wenn sie nach Afrika reisen würden, dann auch Exoten wären.
LöschenIch gebe dir natürlich Recht, auch für mich ist dieser Begriff reduzierend. Meiner Meinung nach sollen die Menschen damit Dinge und Tiere bezeichnen, aber auch das ist schon ziemlich veraltet. Es erinnert mich an die Zeit, als noch das britische Imperium existierte. Die Definition von "exotisch" ist eigentlich "fremdartig". Doch heutzutage ist kaum noch etwas fremdartig für uns, da die Globalisierung es uns ermöglicht unseren Horizont zu erweitern.
Liebe Lily,
Löschenauch das ist eine sehr schwierige Frage im Grenzbereich. Wichtig halte ich hier, dass dir das unangenehm ist, so tituliert zu werden. Deshalb sollten deine Bekannten es einfach lassen, weil es dich verletzt. Das sollte doch als Grund ausreichen, denke ich mir.
Für mich persönlich wäre der Begriff "exotisch" unangenehm bis beleidigend, weil es so eine seltsame Grenze zwischen mir und den anderen zieht. Klar unterscheide ich mich von anderen, weil ich gewissermaßen multikulturell bin.
Ich passe sonst gut in meinen Bekanntenkreis und plötzlich bin ich für besagte Bekannte wieder "exotisch, fremd, anders"? Nein danke! Und überhaupt, was wollen sie damit sagen, dass du "exotisch" bist?
Um es kurz zu fassen: Der Begriff "exotisch" ist nicht mehr zeitgemäß, er riecht zu sehr nach Imperialismus und Kolonialismus und, nicht zu vergessen, (Alltags-)Rassismus.