Über Obama, das N-Wort und Afro-Klischees. Ein Gespräch.

Man mag von Sozialen Netzwerken halten, was man will, fest steht: Sie sind unheimlich praktisch. Früher galt noch der Satz: Aus den Augen, aus dem Sinn. Es war viel schwerer, mit Menschen Kontakt zu halten, wenn sie einmal weggezogen waren oder man ihre Adresse verlegt hat.

So ging es mir auch mit - nennen wir ihn nutella (auf eigenen Wunsch). Wir kannten uns aus dem Ministrantendienst, er war etliche Jahre jünger als ich. Der Kontakt war daher freundlich, aber nicht eng. Man kannte sich.

Irgendwann verloren wir uns gänzlich aus den Augen. Ich verließ meine Heimatstadt, ging studieren, ging ins Ausland, kam nach München. Aber wir haben uns irgendwann wieder entdeckt - über Facebook. Wir entdeckten uns in Freundeslisten. Bald wurden wir direkte Facebook-Freunde.

Irgendwann entdeckte nutella auch meinen Blog, den ich auf meinem Profil verlinkt hatte. Laut seiner eigenen Aussage hat er ihn von vorne bis hinten ganz gelesen (danke hierfür!). Wir fingen an, uns über ernsthafte Themen auszutauschen, über ähnliche Erfahrungen, über Klischees und Rassismus. Denn er ist das, was manche Leute als "Afro-Deutsch" bezeichnen. So sprachen wir letztens per Skype - über Rassismus, das N-Wort und Afro-Klischees.

naekubi: Ich habe erst gerade eben gemerkt, dass heute ja ein besonderer Tag ist - nämlich die Amtseinführung von Obama. Hat das für dich persönlich eigtentlich eine Bedeutung?
nutella: Nein, ich hatte eben eine Diskussion mit einem Amerikaner über Kultur geführt und dabei gemerkt, wie wenig amerikanisch ich bin. Wobei Obama für mich auch kein Schwarzer ist.
naekubi: ...Er ist ja halb weiß und halb schwarz, aber die Leute sehen ihn nur als schwarz.
nutella: Ja, aber anders als ich zum Beispiel.
naekubi: Inwiefern?
nutella: Es macht einen Unterschied, ob ein "Mulatte" halb Afrikaner und halb weiß oder halb Afro-Amerikaner und halb weiß ist, für mich zumindest. Und ich meine mich zu erinnern, dass es auch Afroamerikaner gibt, die das so sehen. Obama hat einfach nicht den typischen afro-amerikanischen Background. Obwohl er es wahrscheinlich noch am ehesten ist (lacht).
naekubi: Gerade kulturell wird es große Unterschiede geben, ob jemand Afro-Amerikaner oder Amerikaner mit afrikanischen Wurzeln ist
nutella: Vollkommen richtig.
naekubi: Möglicherweise, scheint er sich selbst auch eher als Afro-Amerikaner einzuordnen
nutella: Ja, in gewisserweise schon.

naekubi: Was ja derzeit auch durch die ganzen Medien geistert ist die Debatte um das N-Wort in Kinderbüchern.
nutella: Das ist an mir etwas vorübergegangen, bis ich deinen Post auf Facebook gelesen habe.
naekubi: Hast du diese Bücher selbst als Kind gelesen oder vorgelesen bekommen?
nutella: Vorgelesen bekommen auf jeden Fall nicht, zumindest nicht, dass ich mich erinnern könnte.
Einen ganz konkreten Fall an den ich mich erinnern kann ist "Tomy Sawyer und Huckleberry Finn" -  ein gutes Buch. Das habe ich so im Alter von 10 Jahren gelesen. Rückblickend würde ich aber sagen, dass der Begriff des Negers in dem Buch nicht abwertend, sondern schlicht und ergreifend dokumentarisch gemeint war.
naekubi: Hatte das einen Einfluss darauf, wie du dich selbst gesehen hast?
nutella: Nein, das Buch war einfach spannend, was anderes.
naekubi: Wie würdest du das heute sehen? in heutigen auflagen von negern zu sprechen, was hältst du davon?
nutella: Das kommt ganz auf das Buch an. Würde es in Deutschland spielen, würde ich es wahrscheinlich für inadäquat halten.Wäre der Handlungsort in einem Ghetto in der Bronx wäre es wieder anders. Die Frage ist ja, in welchem Kontext das Wort "Neger" verwendet wird. Und viele Leute, die ich kenne, neigen zu einer deskriptiven Anwendung.
naekubi: Also fühlst du dich persönlich nicht davon beleidigt, wenn der Begriff mal fällt?
nutella: Beleidigend war es für mich auch lange Zeit. Ich erinnere mich daran, wie ich in einem Kaufhaus in meiner Heimatstadt rumgelaufen bin, als ein Kind meinte: "Schau mal Mama, da ist ein Neger." Ich kam mir vor wir ein Gorilla im Zoo und der Mutter war das ordentlich peinlich.
naekubi: Wie hat diese Mutter dann reagiert?
nutella: Sie ist weggegangen.

naekubi: Also keine Entschuldigung, keine Zurechtweisung des Kindes, nichts?
nutella: Nein. Wenn mich Leute im Bus ansehen, dann neigte ich auch bis vor kurzem dazu, das auf meine Hautfarbe zu schieben. Aber sowas kann auch eine "Self-fulfilling-prophecy" sein: Ich schau doof, in stiller Erwartung einer Beleidigung, die Leute schauen doof zurück.
naekubi: Wie es in den wald hineinschallt...
nutella: Um wieder zurückzukommen: Jetzt nehme ich den Begriff des "Negers" nicht mehr so persönlich wie früher, auch wenn ich nicht nachvollziehen kann, weswegen man sich genötigt fühlt, einen Menschen über seine Hautfarbe zu definieren.Sollte es aber wiederholt vorkommen, kann ich ausgesprochen unangenehm werden.
Ich weiß nicht, ob du das Lied von B-Tight kennst: "Der Neger". Damit konnte man mich früher auch ausgezeichnet provozieren, das hat aber nachgelassen (zitiert):
"Wer hat das Gras weggeraucht?
der Neger.
Wer rammt dir den Penis in den Bauch?
Der Neger.
Wer ist immer down mit mehr als einer Braut,
wer fällt immer auf, weil er grade baut?
Der Neger."

nutella: Den Refrain konnte ich schneller auswendig als mir lieb war, weil er recht häufig in meiner Anwesenheit gesungen wurde. Aber ich glaube, in dem Track steckt auch eine ganze Portion Ironie.
naekubi: Wahrscheinlich, aber der Song wurde quasi gegen dich verwendet - das ist ja das Blöde an Ironie, dass man die nicht unbedingt verstehen muss und dann das einfach wörtlich nimmt.
nutella: Es ist leichter jemanden mit dem Wort "Neger" zu beleidigen, je mehr er sich mit seiner Hautfarbe identifiziert.
naekubi: Also ist deine Strategie, dich nicht so stark über deine Hautfarbe zu definieren?
nutella: Ja, durchaus. Aber ich habe selbst lange nicht begriffen, warum ein "Mulatte" wie B-Tight sowas rappt, bis ich eben auf die Ironie gekommen bin. Das ist weniger explizite Strategie als Gewohnheit.
naekubi: Inwiefern?
nutella: Ich musste gar keine Strategie fahren; es war mein Umfeld, das mich in diese oder jene Rolle gepusht hat. Ich habe dir ja bereits erzählt, dass ich daheim immer "der Schwarze" war, manchmal auch der Neger. An meinem Studienort scheren sich die Leute recht wenig um meine Hautfarbe und fragen allenfalls, welche Wurzeln habe; eine Frage, die durchaus legitim ist. Mich interessiert das auch bei anderen sehr.
naekubi: Wie fühlt sich das für dich im Vergleich zur Situation daheim an?
nutella: Nicht richtig. Ich bin ein bisschen in der Schwebe, das ist eine äußerst ungute Situation. Denn das, was sich hier andeutet, ist in Amerika extremer: Da hab ich mit beiden Ethnien - Schwarz und Weiß - Probleme. Das ist vielleicht mein größtes Problem: mich nicht als vollwertig deutsch anerkennen zu können obwohl ich es bin.

naekubi: Wie definierst du "deutsch" für dich?
nutella: Nicht-Schwarz. (lacht) Nein im Ernst, es ist eine kulturelle Sache für mich. Meine Mutter ist ja weiß und sie hat mir erzählt, dass sich Leute ganz anders über "Menschen mit Migrationshintergrund" (für die Formulierung gehört sich jemand abgesetzt) bzw. "Ausländer" unterhalten, wenn nur sie dabei ist oder eben auch ich. Sie war es, die mir als erstes klargemacht hat, dass sie es nicht unbedingt böse meinen.
naekubi: Du hast also auch Verständnis dafür?
nutella: Naja, sie wissen es halt einfach nicht besser. Seit ich studiere ist mir auch klar geworden, dass unsere globale Gesellschaft weiß Gott noch nicht so modern ist, wie sie sich wähnt. Und es sind Überbleibsel aus der Vergangenheit, das wollte ich eben mit meiner Aussage auch schon andeuten.
naekubi: Siehst du es für dich persönlich als Aufgabe an, Leute darüber aufzuklären?
nutella: Nein, das ist mir zu blöd geworden. Dafür könnte man wahrscheinlich eine eigene Mission aufbauen. Außer die betreffende Person ist hartnäckig dumm, dann sag ich da schon was.

naekubi: Was mich als Kind immer genervt hat, waren diese blöden Klischees: "Mach mal Kung-Fu!" Gab es die bei dir auch?
nutella: (lacht) Klischees sind toll. Man kann sehr schöne Witze machen! Eines schönen Tages stand ich im Zenit meiner Schlagfertigkeit, als ich gefragt wurde, ob es denn stimme, dass Neger wirklich einen langen Schwanz haben. Woraufhin ich fragte: "Warum meinst du, dusche ich in der Badewanne und nicht in einer Duschkabine?" Also ja, diese Klischees gibt es, genauso wie jenes, dass Neger schneller und ausdauernder laufen könnten. Das hat mich in Sport aber stets motiviert. I had to keep up, sozusagen.
naekubi: Stimmt das bei dir denn?
nutella: Nein. Leider nicht, aber das liegt mitunter an meiner Lethargie.
naekubi: Ich war auch nie gut - außer in Basketball, was für Asiaten ja angeblich untypisch sei
nutella: Dafür hielten die Leute meine Englischkenntnisse für selbstredend. Wobei ich nie wirklich Englisch mit einem Muttersprachler gesprochen habe; über einen längeren Zeitraum als eine Stunde zumindest. Ich hatte diesbezüglich einfach ein gutes Sprachgefühl und eine Mutter, von der ich es wahrscheinlich habe. Das schlimme an Klischees - vor allem dem ersten, das ja auch ein wenig in die Richtung "Asiatin" im Bett geht - ist, dass mich selbst interessieren würde, ob sie stimmen. Mir fehlt aber der Vergleich...

naekubi: Gibt es noch etwas, was du den Leserinnen und Lesern des Blogs auf den Weg geben möchtest?
nutella: Puh, nein. Ich glaube, die grundlegende Tendenz meiner Ansichten ist aus dem Gesagten ersichtlich (lacht)
naekubi: Ok. Dann danke nochmal für deine Zeit!


Soziale Medien können verbinden - man muss sie nur zu nutzen wissen. Vielen Dank noch einmal an nutella, dass er sich für das Gespräch und die Veröffentlichung bereit erklärt hat. :)

Winterzeit = Urlaubszeit

Jetzt, wo München in Eis und Schnee versinkt, ist die ideale Zeit für Fernreisen. Warum nicht einfach dem Grau entfliehen und gen Süden ziehen.

Das müssen sich auch meine Kollegen gedacht haben. Bei ihnen steht ein Land hoch im Kurs, das sich auch außerhalb des PR-Büros größter Beliebtheit erfreut: Vietnam. Vor Jahren noch ein Backpacker-Geheimtipp, hat sich das Land zu einer Destination fast massentouristischen Ausmaßes gemausert. Im Büro werden Bilder getauscht, Restauranttipps zugeflüstert, Reiserouten verglichen und Anekdoten von Traumstränden und anderen Reisenden zum Besten gegeben.

Ich sitze schweigend daneben. Was soll ich dazu sagen? Viel kann ich zu den Unterhaltungen ohnehin nicht beitragen, denn Vietnam habe ich das letzte Mal vor fünfzehn Jahren gesehen. Damals war ich zwölf und es war meine allererste Fernreise überhaupt. Ihre Begeisterung kann ich nicht teilen. Vietnam - ich erinnere mich an die schwüle Hitze, die mich, die ich in Mitteleuropa akklimatisiert wurde, nur ermattete. Die Menschen auf der Straße waren mir fremd - irgendwie sprachen sie eine ähnliche Sprache wie ich, aber ich spürte keine Verbindung zu ihnen. Sollte das mein Volk sein? Die Menschen auf der Straße waren tiefbraun gebrannt und arm, bettelten mich an, beklauten meine Familie oder waren körperlich versehrt.

An Saigon erinnere ich mich als eine furchteinflößende Stadt - Cyclo-Fahrer schienen jederzeit bereit, uns im dichten Straßenverkehr zugunsten schnelleren Fortkommens über den Haufen zu fahren. Bei Monsun waren die Straßen teilweise kniehoch überflutet mit braunem Wasser, das ungesund aussah. Vom ungewohnten Klima und dem Essen hatte ich ständig Magenschmerzen.

Ich verlasse die Unterhaltung im Büro und gehe nach draußen, weil ich meine eigene Gefühlsgemengelage ordnen muss.

Da ist Trauer über das Konzept von Heimat, das für mich einfach nicht gilt. Ist bei mir Heimat verloren gegangen und wenn ja, was habe ich eigentlich verloren? Und warum sollte mir das wichtig sein?

Neid mischt sich hinein, weil da jemand meine Herkunft besser kennt als ich. Das Herkunftsland meiner Eltern würde ich auch genauer kennen wollen, warum schaffe ich das nicht? Was hält mich auf, warum kriege ich das nicht hin? Warum kann ich kein unverkrampftes Verhältnis zu diesem Land haben?

Und schließlich: Verlegenheit, weil ich doch meine Herkunft besser kennen sollte als andere. Stammen meine Eltern nicht von dort? Spreche ich nicht die Sprache, zumindest ansatzweise? Fließt neben Blut nicht auch Fischsoße durch meine Adern?

Viele Menschen mit Migrationshintergrund kennen diesen emotionalen Zwiespalt: Selbstbild, Fremdverortung und Verhalten wollen kein stimmiges Bild ergeben. Die Puzzleteile scheinen von verschiedenen Puzzlebildern zu stammen. Wie umgehen mit dem, was an einem selbst "anders" ist? Ignorieren des als "anders" erfahrenen Persönlichkeitsanteils? Völlige Ablehnung, Leugnung, Hass? Ich versuche, aus mir selbst ein stimmiges Bild zu formen. Ein Monet wird es nicht. Eher so etwas wie ein Kandinsky oder Kirchner.

Die KollegInnen gehen dazu über, die Verkehrsverbindungen zu diskutieren, es geht um Hanoi, Ha-Long-Bucht, die kaiserlichen Anlagen in Hue und das Museum über die Tunnel der Vietcong.

Insgeheim plane ich, es zu wagen.

Eines Tages fahre ich hin. Nicht heute, nicht morgen, aber bald. Wird es eine Rückkehr oder eine Expedition?

Die Heiligen Drei Könige...

...mit dem goldenen Stern: 
Die essen und trinken und zahlen nicht gern.

Heute ist Hl. 3 Könige. Das ist kein deutschlandweiter Feiertag meines Wissens, in Bayern hingegen schon (die Bayern nehmen ohnehin jeden Feiertag mit, der sich bietet - Gott mit dir, du Land der Bayern). Aber da Sonntag ist, macht das dieses Jahr keinen Unterschied.

Dieser Feiertag erinnert mich immer an eine Phase meiner Kindheit, in der ich als Sternsinger unterwegs war. Einige kennen sicherlich den Brauch: Kinder gehen verkleidet als die drei Weisen aus dem Morgenland von Haustür zu Haustür und singen oder sagen ein Gedicht auf. Dann schreiben sie mit Kreide einen Segen auf die Haustür und bitten gleichzeitig um eine Spende "für die Mission". 

Im Alter von 9 bis etwa 13 war ich jedes Jahr für fünf Tage mit anderen Kindern, teilweise auch mit meinen Geschwistern, in den Straßen meiner fränkischen Heimatstadt unterwegs, um für die armen Kinder dieser Welt Geld und für uns Süßigkeiten zu sammeln - deshalb der Spruch am Anfang. Schokolade in Tafel- oder Pralinenform war hochwillkommen, während Orangen und vor allem die leicht zerdrückbaren Bananen sich großer Unbeliebtheit erfreuten. Es war anstrengend, so von 9 bis 5 oder gar 7 Uhr abends im Winter schwer bepackt durch die Straßen zu gehen. Wenn wir jedoch unsere Geldbüchse voll bekamen und unsere Süßigkeitenbeutel, waren wir glücklich.

Nun hat dieser Brauch auch gewisse problematische Seiten. Das fängt damit an, dass unter den drei Königen in alten Darstellungen immer ein Schwarzer ist. In der Bibel steht zwar nichts von drei Königen (es sind außerdem Weise oder Magier), aber aufgrund ihrer Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe an Jesus schloss man auf drei Personen. Die Zahl drei wurde im Volksglauben interpretiert als die drei damals bekannten Kontinente: Europa, Asien und Afrika. Damit wollte man andeuten, dass sich alle Welt aufmacht, um dem Retter zu dienen.

Diese Vorstellung hatte Konsequenzen für das Sternsingen: Einer musste immer den Schwarzen spielen. Sternsinger-VeteranInnen erzählten mir damals, dass dann mit Schuhcreme hantiert wurde. Eine Tradition, die zumindest bei uns vor zwanzig Jahren abgeschafft wurde, weniger aufgrund des offensichtlichen Blackfacing, sondern weil Schuhcreme im Gesicht schwer zu entfernen und sicherlich nicht gesund war. Zu mir oder auch zu meinem älteren Bruder, der etwas pigmentierter ist als ich (ja, auch einer Familie mit den selben Eltern gibt es Hautfarbenunterschiede!) wurde dann auch mal gesagt: "Und du spielst dann den Schwarzen, richtig?" Gegenfrage: Wie spielt man einen Schwarzen?

Ein zweiter Punkt: "für die Mission sammeln". Heutzutage wird das Geld ja nicht mehr dazu benutzt, um unter dem Deckmantel der Religion im afrikanischen Busch Menschen dazu zu zwingen, sich den weißen Männern mit Tropenhut zu unterwerfen. Stattdessen werden verschiedene globale Entwicklungsprojekte unterstützt. Dennoch: Die kolonialistische Geschichte schwingt ein wenig mit. Und die Kirchen haben sich in Sachen Mission und Kolonialismus sicherlich nicht mit Ruhm bekleckert. Zudem frage ich mich, ob es noch zeitgemäß ist, mit dem Christentum so offensichtlich und wortwörtlich hausieren zu gehen. 

Sternsingen war hart - manchmal schnappten Hunde nach uns. Manche schlugen die Tür vor unserer Nase zu oder sagten frei heraus, dass sie "nur für Deutsche spenden". Bei Türkischstämmigen klingelten wir irgendwann nicht mehr, weil die Leute diesen Brauch nicht kannten und die Kinder uns wegen unseres Aufzugs mit Krone, Stern und Umhang auslachten. Ach ja, dass Jugendliche Kieselsteine nach uns warfen oder uns bedrohten, kam auch vor.

Sternsingen war auch schön - wenn wir zu älteren Leuten kamen, die recht einsam lebten. Ihnen merkte man an, dass wir das Highlight des Tages, vielleicht sogar der Woche waren. Manche warteten schon auf uns mit Süßigkeiten und Geld für die Büchse und Taschengeld für uns. Manche holten die ganze Familie zusammen oder wir wurden ins Wohnzimmer eingeladen, um vor der gesamten Sippschaft unser Sprüchlein aufzusagen. Und manche gaben uns erst Geld in die Büchse, wenn wir nach danach auch wirklich ein Lied sangen. Nach fünfzehn Jahren beherrsche ich es immer noch im Schlaf:

Wir grüßen das Haus und wünschen euch allen
Von Herzen ein göttliches Wohlgefallen.

Gott möge euch allen Gesundheit verleihen
Der Eintracht und Freude ein gutes Gedeihen!

Christus möge in eurem Hause wohnen
Für jede Wohltat euch reichlich belohnen!

Zuletzt, so ist es Brauch und Sitte,
Tret ich hervor mit meiner Bitte:
Wir bitten euch, ihr wisst es schon,
um eine Gabe für die Mission.

Christus dem Herrn habt ihr freudig gegeben,
er lohne es euch mit dem ewigen Leben.
Er segne das Haus, er möge es führen,
das schreiben wir heute auf eure Türen.

Euch allen noch einen schönen Sonntag.

Kokosnuss 101.

Im diesjährigen Weihnachtsurlaub war ich wieder einmal eine Woche bei meinen Eltern. Der Großstadttrubel wurde mir dann doch zu viel und da ich noch ohne Anhang bin, war es naheliegend, die Familie wieder zu beehren.

Mein Teamkollege fragte mich vor den Feiertagen, ob meine Familie denn Weihnachten feiere. Ich vermute, er hatte angenommen, dass wir Buddhisten sind oder den Ahnenkult pflegen (eine durchaus plausible Annahme). Es tat mir fast leid, ihn enttäuschen zu müssen - wir sind katholisch. Und das nicht erst seit gestern, schon meine Großeltern und Urgroßeltern waren Anhänger des christlichen Glaubens, sodass niemand mehr weiß, welche Generation eigentlich von den französischen Kolonialherren zum Katholizismus gezwungen bekehrt wurde. Einen Weihnachtsbaum gab es dieses zwar nicht, aber eine Vorgarten- und Wohnzimmerbeleuchtung, die den Namen "Bunt&Kitschig" verdient. Aber ich schweife ab.

Ich wollte mir gerade eine Orange aus der Küche holen, als ich an der Spüle eine Kokosnuss liegen sehe, in all ihrer spröden Fusseligkeit. Erst letztens lag in unserer WG-Küche eine ganz ähnliche Kokosnuss, die eine Freundin von Lillebror mitgebracht hatte. Das Kokoswasser wurde mittels eingebohrter Löcher abgeschöpft, aber die Nuss brachte ich ums Verrecken nicht auf, weshalb sie zu meinem Bedauern ungegessen und innen vermutlich verschimmelt in die Bio-Tonne wanderte.

Meiner Mutter erzählte ich die bedauernswerte Episode um die Kokosnuss und um mein Unvermögen, mit dem Ding fertig zu werden.

"Ihr hättet doch einfach anrufen und fragen können! Ich zeig dir mal, wie das geht."

Hier zeigte sich nun der Vorteil, wenn die Eltern aus tropischen Gebieten stammen. Ich kam in den Genuss der Einführungsveranstaltung Die Kokosnuss und Du - eine harte Beziehung.

Um eine Kokosnuss zu öffnen, braucht man zunächst einen Hammer, einen festen Nagel oder einen Schraubenzieher, Kraft in den Armen und ein bisschen Zeit.

Jede Kokosnuss besitzt auf ihrer Oberseite drei "Male", die eine Art Gesicht bilden. Eines der Male lässt sich sehr leicht, ein weiteres einigermaßen, das letzte kaum aufbohren. Mittels Hammer, Nagel oder Schraubenzieher bohrt bzw. schlägt man zwei der drei Löcher auf. Die Chancen stehen mit 2 zu 3 recht gut, dass man gleich die eines der beiden einfachen Male erwischt.

Anschließend gießt man das Wasser in ein Glas ab. Es ist absolut trinkbar und an sich recht lecker. Durch das eine Loch wird abgegossen, durch das andere strömt Luft, damit kein Unterdruck innerhalb der Kokosnuss entsteht und das Kokoswasser ungehindert abfließen kann. Übrigens: Je mehr Wasser in der Kokosnuss ist, umso frischer und besser ist sie auch. Beim Kauf also immer auf besonders schwere Nüsse achten. Während des Abgießen sollte man immer wieder die Nuss schütteln um sicherzugehen, dass sie leer ist.

Dann folgt der anstrengende Teil: Schlagen. Mit dem Hammer haut man rundum auf die Kokosnuss ein. Das dauert eine Weile - man sollte darauf achten, keinen der eigenen Finger zu erwischen. Man dreht also vorsichtig die Kokosnuss in der Hand und prügelt gleichzeitig fest auf sie ein. Am Klang des Schlags kann man erkennen, wie brüchig die Nussschale ist: Ist er zu Beginn noch klar und rund, wird er mit zunehmenden Hammerschlägen immer rauher und unsauberer. Irgendwann gibt die Schale nach und die Nuss bricht.

Innen offenbart sich das schöne weiße Kokosfleisch. Mit einem scharfen Messer muss man noch die fusselige harte Nussschale trennen. Dazu das Messer als einen Keil zwischen die Schale und das Fleisch schieben und es heraushebeln. Die fusselige braune Kokosschale eignet sich laut Auskunft meiner Mutter hervorragend zum Verfeuern im Kamin und bringt es auf eine wesentlich längere Brenndauer als einfaches Holz. Das Kokosfleisch hat an der Außenseite noch eine braune Haut. Man kann sie essen, besser schmeckt das Ganze aber, wenn man auch diese dünne Schicht abgeschält hat.

Und jetzt: Kokosnuss knabbern und Kokoswasser hinterherschütten. Man kann mit Kokosnuss aber auch Fleisch- und Gemüsegerichte exotisieren. Wohl bekomm's.

Im Übrigen wünsche ich allen Leserinnen und Lesern ein gutes Jahr 2013! Hoffen wir, dass wir dieses Jahr nicht ganz so harte Nüsse zu knacken haben :D