Heute also habe ich extra überpünktlich Feierabend gemacht, einfach um einmal pünktlich Feierabend zu machen (Agentur-Dasein, ihr wisst schon). Ich stand heute im Bus, um den Rücken nach neun Stunden Sitzen mal anders zu belasten.
Ich denke mir nichts, gucke aus dem Fenster, als plötzlich ein weißer Opel Astra älteren Baujahrs knapp vor dem Bus auf unsere Spur wechselt...
Vollbremsung. Mich schleudert es nach vorne, ich verliere fast den Halt, glücklicherweise stehe ich aber gegen die Fahrtrichtung an der Lehne für Rollstuhlfahrer (wenn ich im Bus stehe, dann immer dort, wegen möglicher Unfälle - so wird man nicht frei im Wagen herumgeworfen, sondern dank Trägheit der Masse gegen Lehne oder Gestänge gepresst).
Der Opel touchiert unseren Bus, stoppt kurz und fährt schnell weiter, der Busfahrer hält fluchend an: "Ist jemand hier, der Zeuge war? Hat jemand das gesehen?"
Niemand meldet sich.
Er fragt noch einmal: "War jemand Zeuge?"
Ähnlich wie die
kaltmamsell bin ich introvertiert und dränge mich nicht vor, hasse es aber, wenn keiner den Mut oder die Lust hat vorzutreten. Also melde ich mich als Zeugin, damit dieses Rumgeeiere ein Ende hat.
Der Busfahrer gibt mir einen Zettel, wo ich meinen Namen und die Telefonnummer hinterlasse. Zwei weitere Zeuginnen melden sich beim Busfahrer.
Die anderen Fahrgäste verlassen den Bus. Wir warten auf die Polizei. Ich sitze mit dem bosnischen Busfahrer, einem 17-jährigen afghanisch-deutschen Mädchen und einer 50-jährigen Türkisch-Bayerin (wer oberbayerisch spricht, ist für mich bayerisch. Punkt.) im Bus. Es zieht durch die offene Tür. Eine halbe Stunde dauert es, bis jemand vom Verkehrsverbund MVV und die Polizei da sind.
Währenddessen geht mir durch den Kopf, warum eigentlich sonst keine "echten" Deutschen als Zeugen zur Verfügung stehen, sondern nur wir, die "Fremden", dazu noch alles Frauen. Zufall? Vermehrte Zivilcourage? Soziales Engagement? Die Türkisch-Bayerin sagt, das sei doch selbstverständlich, was der bosnische Busfahrer aber verneint. Eine ältere Frau sitzt zwar mit uns Zeuginnen im Bus, aber nur, weil sie nicht gut zu Fuß ist und die nächste Haltestelle zu weit weg für sie liegt.
Die Polizei trifft endlich ein. Der Busfahrer schildert den Unfallhergang, macht Fotos, zeigt den Schaden. Es ist zum Glück nur ein Kratzer, auch ist niemand verletzt. Der jüngere, etwas nerdig wirkende Polizist nimmt unsere Personalien auf. Das dauert etwas länger, weil es so viel zu buchstabieren gibt und weil die Türkisch-Bayerin noch ein bisschen mit dem jungen Polizisten schäkern muss.
Nach einer Stunde ist alles vorbei. Die eine Stunde, die ich heute früher gegangen bin. Der MVV-Mann schüttelt den Kopf und lacht ein bisschen. Das sei an diesem Nachmittag schon der fünfte Unfall, um den er sich kümmern müsse. Der Busfahrer bringt mich noch zum Ziel und entschuldigt sich dafür, dass meine eine Stunde früherer Feierabend jetzt weg ist. Macht nichts, es war ja nicht seine Schuld, außerdem habe ich wenigstens mal etwas außerhalb meines Tagesablaufs erlebt.
Ich steige aus. Der Busfahrer ruft mir noch ein freundliches "Servus, Pfiatdi" zu.
Ein schnelles "Wiedersehen" schaffe ich noch, dann ist auch er weg.